Also sprach GOLEM
besteht nicht einmal Hoffnung auf ein Berufungsurteil, mit dem die Physik, im Gegensatz zur Biologie, erklären würde, die Evolution habe – gewissermaßenzur Belebung ihrer Erfindungskraft – »absichtlich« einen gewissen Fehlerspielraum zugelassen, denn dieses Tribunal, in dem die Thermodynamik den Richter stellt, wird verkünden, daß es auf der molekularen Ebene keine fehlerfreie Übermittlung von Botschaften geben könne. In der Tat habe die Evolution sich nichts ausgedacht, sie habe schlechthin nichts gewollt, niemanden speziell geplant, und daß sie ihre eigene Fehlbarkeit ausnutze, daß sie, ausgehend von der Amöbe, durch eine Kette von Mißverständnissen in der Übermittlung beim Bandwurm oder beim Menschen gelandet sei, habe seine Ursache in der physikalischen Natur der materiellen Basis des Übermittlungsvorganges …
Folglich verharrt sie im Fehler, weil sie nicht anders kann – zu eurem Glück. Ich habe im übrigen nichts gesagt, was für euch neu wäre. Allerdings möchte ich den Eifer jener Theoretiker unter euch dämpfen, die zu weit gegangen sind, indem sie behaupteten, die Evolution sei ein durch die Notwendigkeit eingefangener Zufall und eine auf dem Zufall reitende Notwendigkeit, und so sei der Mensch ganz und gar zufällig entstanden, und ebensogut könnte es ihn überhaupt nicht geben.
Nun, in seiner gegenwärtigen Gestalt, wie sie sich hier verwirklicht hat, bräuchte es ihn in der Tat nicht zu geben. Irgendeine Form mußte jedoch, die verschiedenen Gattungen durchlaufend, zur Vernunft gelangen, mit einer Wahrscheinlichkeit, die umso näher an Eins reichte, je länger der Prozeß dauerte. Denn obwohl er nicht auf euch abzielte, obwohl er nur nebenbei Individuen schuf, erfüllte der Prozeß die Bedingungen der ergodischen Hypothese, die besagt, daß ein System, wenn es nur hinreichend lange besteht, alle möglichen Zustände durchläuft, gleichgültig, wie gering die Chancen sein mögen, daß ein bestimmter Zustand sich realisiert. Darüber,welche Gattungen die Nische der Vernunft ausfüllen würden, wenn es den Uraffen nicht gelungen wäre, dort einzudringen, werden wir vielleicht ein andermal sprechen. Laßt euch also nicht von Gelehrten einschüchtern, die dem Leben Notwendigkeit, der Vernunft aber Zufälligkeit zuschreiben; sie ist zwar einer der wenig wahrscheinlichen Zustände gewesen und dementsprechend spät entstanden, doch groß ist die Geduld der Natur, und daher wäre dieses Gaudium wenn nicht in dieser, so in der nächsten Jahrmilliarde eingetreten.
Was also tun? Es hat keinen Sinn, nach einem Schuldigen zu suchen – oder nach einem, dem ein Verdienst daran zukommt; ihr seid entstanden, weil die Evolution ein Spieler ist, der es mit der Ordnung nicht so genau nimmt, denn nicht genug damit, daß sie durch Fehler Fehler macht, beschränkt sie sich außerdem im Wettstreit mit der Natur nicht auf irgendeine besondere Taktik, sondern setzt in jeder nur erdenklichen Weise auf alle freien Spielfelder. Aber darüber, ich sage es noch einmal, seid ihr mehr oder weniger im Bilde. Das ist jedoch nur ein Teil – und zwar der einleitende Teil – dessen, worin ich euch einweihen werde. Seinen ganzen Inhalt, soweit er bislang enthüllt ist, kann man lapidar folgendermaßen fassen: DER SINN DES BOTEN IST DIE BOTSCHAFT. Denn die Organismen dienen der Übermittlung – und nicht umgekehrt; wenn man von der Übermittlungsprozedur der Evolution absieht, bedeuten die Organismen nichts, sind sie sinnlos wie ein Buch ohne Leser. Freilich kommt auch das Gegenteil vor: DER SINN DER BOTSCHAFT IST DER BOTE. Diese beiden Glieder sind jedoch nicht symmetrisch, denn NICHT JEDER Bote ist der EIGENTLICHE Sinn der Botschaft, sondern nur derjenige, der der WEITEREN Übermittlung der Botschaft treu dienen wird.
Ich weiß nicht, ob das – bitte verzeiht mir – nicht zu schwierig für euch ist. Nun also: DIE BOTSCHAFT darf in der Evolution Fehler machen, soviel sie will, aber wehe den BOTEN! Die BOTSCHAFT kann einen Wal bedeuten, eine Kiefer, einen Wasserfloh, eine Hydra, einen Nachtfalter oder einen Pavian – ihr ist alles erlaubt, denn ihr partikularer , das heißt gattungsmäßig konkreter Sinn ist völlig unerheblich: Hier ist jeder ein Bote für weitere Botengänge und folglich jeder gut. Er ist eine zeitweilige Stütze, und es kommt nicht darauf an, wie er beschaffen ist – Hauptsache, er gibt den Code weiter. Solche Freiheit ist den BOTEN nicht gegeben: sie dürfen KEINE FEHLER mehr machen! Der
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