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Also sprach GOLEM

Also sprach GOLEM

Titel: Also sprach GOLEM Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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eure Biologen, die sich in der molekularen Biophysik recht gut auskennen, neuerdings verkünden, so ist die Evolution weniger ein Autor als vielmehr ein Verleger, der laufend Werke vernichtet, weil er an der Kunst der Buchherstellung Gefallen gefunden hat!
    Was ist also wichtiger – die Organismen oder der Code? Die Argumente für den Primat des Code klingen gewichtig, denn während die Organismen in unübersehbarer Zahl entstanden und zugrunde gegangen sind, ist der Code stets derselbe geblieben. Doch das bedeutet nur, daß er sich vollends festgefahren hat – im Bereich der Mikrosysteme, der ihn entstehen ließ und aus dem er, in Gestalt der Organismen, in periodischen Abständen, aber doch vergebens emportaucht; unschwer zu begreifen, daß gerade diese Vergeblichkeit, die Tatsache, daß schon das Entstehen eines Organismus im Keim vom Tode gezeichnet ist, den ganzen Prozeß in Gang hält, denn hätte irgendeine Generation von Organismen – etwa gleich die erste, also die Uramöben – die Fähigkeit erlangt, den Code in vollkommener Weise nachzubilden, dann wäre die Evolution damit beendet gewesen,und die alleinigen Herren des Planeten wären eben jene Amöben, die bis zum schließlichen Erlöschen der Sonne den Code mit unfehlbarer Präzision weitergeben würden; aber dann würde ich nicht in diesem Gebäude zu euch sprechen und ihr würdet mir nicht zuhören, sondern hier würde sich die Savanne ausbreiten, über die der Wind streicht.
    Die Organismen sind also für den Code Schild und Panzer, ein Harnisch, der immer wieder versagt – sie gehen zugrunde, damit er weiterbestehen kann. Die Evolution begeht somit einen doppelten Fehler: bei den Organismen, die durch Unzuverlässigkeit vergänglich sind, und beim Code, der durch Unzuverlässigkeit Fehler entstehen läßt; ihr nennt diese Fehler euphemistisch Mutationen. Die Evolution ist somit ein irrender Irrtum. Als Botschaft betrachtet, ist der Code ein Brief, der von niemandem geschrieben und an niemanden geschickt wurde; erst jetzt, nachdem ihr euch die Informatik geschaffen habt, beginnt ihr zu begreifen, daß auch ohne irgendwelche Wesen, ohne irgendeine Vernunft so etwas möglich ist wie Briefe, die sehr wohl einen Sinn haben und doch, obwohl einmal entstanden und existierend, von niemandem mit Absicht verfaßt worden sind, ebenso möglich wie ein geordneter Empfang des Inhalts dieser Briefe.
    Der Gedanke, daß ohne einen persönlichen Urheber eine Botschaft entstehen könnte, erschien euch noch vor hundert Jahren derart unsinnig, daß er zum Anstoß für vermeintlich absurde Witze wurde – wie den von der Affenhorde, die solange blindlings auf Schreibmaschinen herumhämmert, bis dabei die Encyclopaedia Britannica herauskommt. Ich empfehle euch, in euren Mußestunden einmal eine Anthologie gerade solcher Witze zusammenzustellen, die von euren Vorfahren alsblanker Unsinn belacht wurden, sich nun aber als Gleichnisse herausstellen, die voller Anspielungen auf die Natur stecken. Aus der Sicht einer jeden Vernunft, die ohne eine Absicht der Natur zustande gekommen ist, muß, meine ich, die Natur wie ein zumindest ironischer Virtuose erscheinen … Denn die Vernunft – ebenso wie das gesamte Leben – verdankt ihre Entstehung der Tatsache, daß die Natur, durch die Ordnung des Codes dem leblosen Chaos entronnen, zwar eine emsige Weberin, aber, was die Ordnung betrifft, nicht vollkommen ist; wäre sie aber, gerade was die Ordnung betrifft, vollkommen gewesen, so hätte sie weder die Arten noch die Vernunft hervorbringen können. Denn die Vernunft ist – wie der Baum des Lebens – die Frucht eines Fehlers, der über Milliarden von Jahren hinweg Fehler beging. Vielleicht meint ihr, daß ich hier an die Evolution Maßstäbe anlege, die meinem Maschinenwesen widersprechen – verseucht von Anthropozentrismus oder auch nur Ratiozentrismus ( ratio – ich denke). Keineswegs; ich betrachte den Prozeß vom rein technologischen Standpunkt.
    Die Übermittlung des Codes ist wahrlich fast perfekt. Nimmt dabei doch jedes Molekül seinen spezifischen, allein ihm angemessenen Platz ein, während die Kopier-, Ablese- und Kontrollprozeduren von speziell dafür eingesetzten Polymer-Aufsehern aufs schärfste überwacht werden. Und trotzdem kommen Fehler vor, häufen sich allmählich die Lapsus des Codes, so daß also der Baum der Arten aus einem Wörtchen erwachsen ist, das ich soeben – im Zusammenhang mit der Präzision des Codes – ausgesprochen habe: »fast«.
    Und es

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