Also sprach GOLEM
zweierleiMaßstäbe an das Leben anlegen: solche, die von außen stammen, und solche, die schon die Einschränkung enthalten, die durch die Umstände seiner Entstehung gegeben ist.
Äußerliche Maßstäbe sind immer relativ, denn sie hängen vom Wissen dessen ab, der sie anlegt, nicht aber von dem Informationsvorrat, über den die Biogenese verfügte! Um diesen Relativismus zu vermeiden, der überdies etwas Irrationales ist (welche vernünftigen Forderungen kann man denn an etwas stellen, das aus Vernunftlosigkeit hervorgegangen ist!), werde ich an die Evolution nur jene Maßstäbe anlegen, die sie selbst hervorgebracht hat, ich werde also ihre Geschöpfe nach ihren Spitzenerfindungen beurteilen. Ihr glaubt, die Evolution habe mit einem positiven Gradienten gearbeitet, sei also von einem anfänglichen Primitivismus ausgehend zu immer glänzenderen Lösungen gelangt. Ich behaupte dagegen, daß sie auf einem hohen Niveau begonnen hat und dann – in technologischer, energetischer und informationaler Hinsicht – herabgesunken ist; gegensätzlichere Standpunkte sind also wahrlich kaum denkbar.
Eure Einschätzungen beruhen auf technologischer Ignoranz. Zu einem frühen geschichtlichen Zeitpunkt läßt sich das wahre Ausmaß der Schwierigkeiten bestimmter Bauwerke nicht überschauen. Ihr wißt inzwischen, daß es schwieriger ist, ein Flugzeug zu bauen als ein Dampfschiff, schwieriger, eine Photonenrakete zu bauen als eine chemische, doch für einen Athener des Altertums, für die Untertanen Karl Martells und für die französischen Denker der Anjou-Plantagenet-Ära würden all diese Vehikel auf das eine hinauslaufen: der Bau wäre unmöglich. Ein Kind weiß nicht, daß es schwieriger ist, den Mond vom Himmel zu nehmen als ein Bild vonder Wand! Für das Kind besteht ebenso wie für den Ignoranten kein Unterschied zwischen einem Grammophon und einem GOLEM. Wenn ich nun den Beweis zu führen gedenke, daß die Evolution von ihrer frühen Meisterschaft herabsank zu Pfuscherei, so wird gleichwohl von einer Pfuscherei die Rede sein, die für euch noch immer eine unerreichbare Virtuosität darstellt. Wie jemand, der ohne Gerät und ohne Wissen am Fuße eines Berges steht, könnt ihr die Höhen und Tiefen des Wirkens der Evolution nicht angemessen beurteilen.
Wenn ihr meint, der Grad der Komplexität und der Grad der Vollkommenheit eines Bauwerks hingen untrennbar miteinander zusammen, so habt ihr zwei ganz verschiedene Dinge durcheinander gebracht. Ihr haltet die Alge für einfacher, folglich primitiver und folglich niedriger als den Adler. Diese Alge aber setzt die Photonen der Sonne in die Verbindungen ihres Körpers ein, sie wandelt den Niederschlag kosmischer Energie direkt in Leben um, und sie wird deshalb weiter leben, bis die Sonne stirbt; sie nährt sich von einem Stern, doch wovon nährt sich der Adler? Von Mäusen, als ihr Parasit; die Mäuse aber nähren sich von den Wurzeln der Pflanzen, also von der Festlandsvariante der ozeanischen Alge, und aus solchen Pyramiden des Parasitismus besteht die gesamte Biosphäre, denn das Pflanzengrün ist ihre Lebensgrundlage, und so findet auf allen Ebenen dieser Hierarchien ein ständiger Austausch zwischen den Gattungen statt, die einander die Waage halten, indem sie sich gegenseitig fressen, denn sie haben die Verbindung zu dem Stern verloren, und nicht an ihm, sondern an sich selbst mästet sich die höhere Komplexität der Organismen; wenn ihr hier also schon unbedingt Perfektion verehren wollt, so gebührt eure Bewunderung der Biosphäre: Der Code hat sie errichtet, um in ihr zu zirkulierenund sich zu verzweigen, sich in all ihre Stockwerke ausbreitend, die als provisorische Gerüste immer komplizierter, aber im Hinblick auf die Energie und ihre Ausnutzung immer primitiver werden.
Ihr glaubt mir nicht? Nun, wenn die Evolution für den Fortschritt des Lebens und nicht den des Codes gesorgt hätte, dann wäre der Adler heute ein photonengetriebener Flieger und nicht ein mechanisch flatternder Segler, und die Lebewesen würden nicht kriechen, nicht schreiten und nicht andere Lebewesen fressen, sondern wären dank der erlangten Unabhängigkeit über die Alge und über den Erdball hinausgegangen; ihr aber erblickt in eurer abgrundtiefen Ignoranz den Fortschritt gerade darin, daß die ursprüngliche Vollkommenheit verschleudert wurde, verloren ging auf dem Weg nach oben – zu steigender Komplexität, nicht zu wachsendem Fortschritt. Dabei vermögt ihr selbst mit der Evolution
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