Also sprach GOLEM
die unerbittliche Nemesis, an die Moira, aber das ist eine Torheit, von der ich euch befreien muß!
In der Tat endet jeder Aufbruch der Embryogenese, jeder Höhenflug der atomaren Ordnung im Kollaps, doch ist das kein Beschluß des Kosmos, der dieses Schicksal der Materie einbeschrieben hätte, vielmehr ist die Erklärung trivial und undramatisch, denn die potentielle Vollkommenheit des Wirkens fördert die Schlamperei, und so macht das Endergebnis das gesamte Werk zunichte.
Milliardenfache Einstürze in Millionen Jahrhunderten, trotz aller Verbesserungen, trotz aller Prüfungen durch die Umwelt, trotz unablässiger Versuche, trotz der Auslese – und ihr seht die Ursache nicht? Ich habe aus Loyalität eure Blindheit zu entschuldigen versucht, aber begreift ihr wirklich nicht, um wieviel hier der Baumeister vollkommener ist als das Werk, begreift ihr nicht, wie er seine ganze Kraft umsonst verausgabt? Es ist, als würden mit genialer Technik und mit Hilfe blitzschneller Computer Gebäude errichtet, die, kaum sind die Gerüste abgeschlagen, einzustürzen drohen – die reinsten Bruchbuden! Als würde man aus integrierten Schaltkreisen Tamtams bauen, Billionen Mikroelemente in Streitäxten zusammenleimen, Schlepptaus aus Quantenleitungen zusammenflechten – und ihr seht nicht, daß in jedem Zoll des Körpers eine hochgradige Ordnung zu einer niederen herabsinkt, das eine plumpe und grobe Makroarchitektur einer vollendeten Mikroarchitektonik Hohn spricht? Die Ursache? Ihr kennt sie doch schon: DER SINN DES BOTEN IST DIE BOTSCHAFT.
Die Antwort steckt in diesen Worten, nur habt ihr deren tiefere Bedeutung noch nicht erfaßt. Ein jeglicherOrganismus hat nur eine Aufgabe: den Code weiterzugeben, sonst nichts. Selektion und natürliche Auslese konzentrieren sich denn auch ausschließlich auf diese Aufgabe – was geht sie die Idee irgendeines »Fortschritts« an! Ich habe ein unpassendes Bild benutzt; die Organismen sind keine Gebäude, sondern eigentlich nur Gerüste, und so ist ihnen das Provisorische gerade angemessen, denn es genügt. Gib den Code weiter, und du wirst eine Weile leben. Wie ist es dazu gekommen? Wozu dann ein so glänzender Start? Nur ein einziges Mal, ganz am Anbeginn, hat die Evolution vor einer Aufgabe gestanden, die von ihr das Äußerste forderte, und diese horrende Aufgabe mußte sie in ihrer ganzen Schwierigkeit entweder mit einem einzigen Sprung schaffen – oder überhaupt nicht. Denn auf der unbelebten Erde konnte es nur darum gehen, daß sich das Leben an einem Stern und der Stoffwechsel an der Quantenenergie festmachte. Daß gerade die strahlenförmige Sternenenergie für eine kolloidale Flüssigkeit am schwierigsten einzufangen ist, hatte dabei keine Rolle zu spielen. Es ging um alles oder nichts; etwas anderes gab es damals nicht zu fressen. Was es an organischen Verbindungen gab, vereinigte sich zum Leben, und nur dafür reichte es gerade aus – gleich die nächste Aufgabe war dann der Stern; ferner konnte aber der einzige Schutz vor den Attacken des Chaos, der Faden, der sich über den Abgrund der Entropie spannte, nur in einem zuverlässigen Ordnungsspender bestehen – und so entstand der Code. Durch ein Wunder? Unsinn! Durch die Weisheit der Natur? Das wäre eine Weisheit von der gleichen Art, wie sie für das bereits Gesagte verantwortlich ist: Gerät ein großer Schwarm Ratten in ein Labyrinth, so wird – mag es auch noch so verwirrend sein – irgendeine Ratte zum Ausgang gelangen; und genau aufdiese Weise ist die Biogenese zum Code gelangt – nach dem Gesetz der großen Zahl, gemäß der ergodischen Hypothese. Blindes Schicksal also? Das auch wieder nicht, denn es ist kein in sich geschlossenes Rezept entstanden, sondern der Keim einer Sprache.
Das bedeutet, daß durch das Zusammentreten der Moleküle Verbindungen entstanden, die Sätze darstellen, und folglich gehören sie zu dem unendlichen Raum kombinatorischer Bahnen, der ihr Spezifikum ist – als bloße Potentialität, als Virtualität, als Artikulationsraum, als Menge der Gesetze von Konjugation und Deklination. Man hat darunter nicht mehr, aber auch nicht weniger zu verstehen als eine Unmenge von Chancen, nicht aber eine automatische Verwirklichung! Denn auch in der Sprache, die ihr sprecht, kann man Kluges oder Dummes sagen, kann man die Welt oder auch nur die Geistesverwirrung des Sprechenden wiedergeben. Möglich ist freilich auch ein hochkompliziertes Gestammel!
So sind denn – ich kehre zur Sache zurück –
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