Also sprach GOLEM
der Ungeheuerlichkeit der Anfangsaufgaben entsprechend zwei ungeheuerliche Realisationen entstanden. Diese Genialität war indes erzwungen – und daher von begrenzter Dauer; dann wurde sie verschleudert!
Oh, wie feiert ihr sie, die Komplexität der höheren Organismen! In der Tat sind ja die Chromosomen eines Reptils oder eines Säugetiers, zu einem Faden aufgereiht, tausendmal länger als der entsprechende Faden einer Amöbe, eines Urtiers oder einer Alge. Aber wo ist dieser, im Laufe vieler Epochen angesammelte Überfluß eigentlich angelegt worden? In einer doppelten Verkomplizierung – der Embryogenese und ihrer Folgen. Vor allem aber der Embryogenese, denn die Entwicklung der Frucht ist eine zielgerichtete Bahn in der Zeit,
wie die Bahn eines Geschosses im Raum, und so würde, ebenso wie ein Zittern des Gewehrlaufs zwangsläufig zu einer enormen Zielabweichung führt, jede Defokussierung der embryonalen Entwicklungsetappen den ganzen Ablauf in ein vorzeitiges Verderben stürzen. Hier, und nur hier, hat die Evolution einmal tüchtige Arbeit geleistet. Sie stand hier unter strenger Kontrolle, die von dem Ziel geleitet war, den Code zu erhalten, und deshalb hat sie hier mit größter Sorgfalt und mit einem großzügigen Einsatz von Mitteln gearbeitet. Deshalb auch hat die Evolution den Genfaden der Embryogenese anvertraut, also nicht dem Bau der Organismen, sondern ihrem Aufbau.
Die Komplexität der höheren Organismen ist kein Erfolg, kein Triumph, sondern eine Falle, denn sie zieht sie in eine Unzahl nebensächlicher Auseinandersetzungen hinein und schneidet ihnen zugleich gewaltige Möglichkeiten ab, beispielsweise die Nutzung von Quanteneffekten im großen Maßstab oder die Einbeziehung der Photonen in die Ordnung des Organismus – um nur diese zu nennen! Die Evolution konnte jedoch nur fortfahren, die Kompliziertheit ständig zu steigern, es gab kein Zurück, denn je mehr dürftige Verfahren sie einsetzte, umso mehr mußte sie auf anderer Ebene eingreifen, was wiederum Störungen nach sich zog und damit neue Verwicklungen auf erweiterer Stufe.
Die Evolution rettet sich nur durch die Flucht nach vorn – in eine banale Vielfalt, einen scheinbaren Formenreichtum, einen scheinbaren, weil es sich um eine Ansammlung von Plagiaten und Kompromissen handelt; sie macht dem Leben das Leben schwer, indem sie durch naheliegende Innovationen triviale Dilemmata schafft. Der negative Gradient bedeutet nicht, daß die Evolution keine Verbesserungen, nicht eine bestimmteAusgewogenheit in ihrer Handlungsweise erreicht hätte; er stellt lediglich fest, daß der Muskel gegenüber der Alge, das Herz gegenüber dem Muskel die schlechtere Lösung ist, denn er bedeutet ganz einfach, daß man die elementaren Aufgaben des Lebens zwar nicht viel besser lösen kann, als es die Evolution getan hat, daß sie aber den höheren Aufgaben ausgewichen ist, sich unter den Möglichkeiten, die in ihnen steckten, hinweggestohlen, sie vertan hat; genau dies bedeutet der Gradient, und nur dies.
War das nun eine speziell irdische Plage? Ein einzigartiges Verhängnis, die Ausnahme von einer ansonsten besseren Regel? Mitnichten! Die Sprache der Evolution ist – wie jede Sprache – in ihren Möglichkeiten vollkommen, aber sie war eben blind. Das erste gigantische Hindernis hat sie genommen, doch nach dieser Spitzenleistung begann sie ungereimtes Zeug zu reden – sie kam herunter, ganz buchstäblich, denn ihre Werke wurden immer minderwertiger. Weshalb kam es ausgerechnet so? Nun, diese Sprache arbeitet mit Artikulationen, die an der molekularen Basis der Materie zusammengesetzt werden, sie arbeitet also von unten nach oben, und daher stellen ihre Sätze lediglich Vorschläge für einen Erfolg dar. Diese Vorschläge gelangen, zu Körpern vergrößert, mit den Arten in den Ozean oder auf das Festland; die Natur aber wahrt Neutralität, denn sie ist ein Filter, der jede Art von Organismus durchläßt, die imstande ist, den Code weiterzugeben. Ob das in Tropfenform geschieht oder ob Berge von Fleisch sich in Bewegung setzen, ist ihr gleichgültig. Deshalb ist gerade in dieser Dimension – der Körperabmessungen – der negative Gradient entstanden. Die Natur gibt nichts auf irgendeinen Fortschritt, und so läßt sie den Code passieren, mag er die Energie dafür nun von einem Stern oder aus einemMisthaufen genommen haben. Stern oder Misthaufen – klar, daß es hier nicht um den ästhetischen Charakter der Quellen geht, sondern um den Unterschied
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