Alte Feinde Thriller
Ungefähr 90 Minuten später erwachte der Proband und fing an, den Testraum ausführlich, wenn auch vage zu beschreiben. Stellte man ihm Fragen wie »Welche Farbe hatte der Teppich?«, »Wie viele Trinkgläser standen auf dem Tisch?« oder »Ist Ihnen an den Wänden irgendetwas Besonderes aufgefallen?«, machte er Aussagen allgemeiner Natur, offenbar zu dem Zweck, dem Versuchsleiter Informationen zu entlocken. Der Versuchleiter ist daher der Überzeugung, dass der Patient sich bemüht hat, eine erfolgreiche Erfahrung vorzutäuschen, indem er die Details so vage hielt, dass der Eindruck entstand
Er hörte auf zu tippen und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, so dass er fast gegen meinen Körper knallte.
»Erna?«, fragte er. »Bist du das?«
Weit gefehlt, mein Dicker.
DeMeo wuchtete sich nach vorne, um erneut einen Blick auf seine handschriftlichen Notizen zu werfen. Ich spähte auf das Datum über dem Bericht:
25. Februar 1972
Also gut, ich war immer noch in dem Traum von der Vergangenheit gefangen. Einer Vergangenheit, die ich sehen, riechen, anfassen und hören konnte. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich auch etwas schmecken würde, wenn ich daran leckte. Wie etwa an dem halb aufgegessenen Doughnut auf DeMeos Schreibtisch. Doch für diese Art Experiment war ich noch nicht bereit. Schließlich wusste ich nicht, was DeMeo mit seinem Mund alles berührt hatte.
Der Arzt drehte sich auf dem Stuhl wieder Richtung Schreibmaschine. Und erneut ertönte das Maschinengewehr-Geklapper.
So schnell und leise, wie ich konnte, glitt ich durch die Vordertür. Ob er merkte, wie sich die Tür für einen kurzen Moment öffnete und dann von alleine zuschlug? Ich hatte keine Ahnung, und ehrlich gesagt war mir das auch scheißegal.
Unten auf der Frankford Avenue war nicht viel los. Es waren kaum Autos auf der Straße, und auf dem Gehweg waren nur wenige Leute unterwegs. Die Geschäfte hatten längst geschlossen, doch ein paar Bars und Lebensmittelläden waren noch für die Säufer und Arbeiter der Spätschicht geöffnet. Es war kalt. Ich lief zur Straßenecke und starrte die Margaret Street hinunter.
Was ich noch nicht erwähnt habe: Ich bin um die Ecke von Grandpas Apartment aufgewachsen.
Im wahrsten Sinne des Wortes.
Die Darrah Street verläuft, einen Block weiter, parallel zur Frankford Avenue. Die Straße wurde nach einer Heldin des Unabhängigkeitskrieges namens Lydia Darragh benannt. Der Legende nach belauschte sie die Pläne der Briten, Washingtons Armee in einen Hinterhalt zu locken. Ihren Freunden sagte sie, sie müsse bei einer der Mühlen in Frankford Mehl kaufen. Doch auf den Weg dorthin steckte sie den Amerikanern ihre Informationen, dann kaufte sie das Mehl und kehrte nach Hause zurück. Aufgrund ihres Ausflugs nach Frankford wurde der Angriff ein Reinfall und Dutzende amerikanischer Leben wurden verschont - darunter möglicherweise auch das von George Washington. Keine Ahnung, warum die Stadtoberen das »g« aus Daraghs Nachnamen gestrichen haben, als sie mit einer Straße geehrt wurde (einem früheren Pfad, der nahe der Getreidemühle vorbeiführte). Keine Ahnung, ob die Geschichte überhaupt stimmte. Aber sie bot genug Stoff für ein oder zwei Geschichtsreferate in der Grundschule.
Sonst war die Darrah Street nichts Besonderes. 2002 ist meine Mutter schließlich nach Northwood gezogen, das als »besserer« Teil von Frankford gilt.
Ein paar Jahre später, kurz nachdem ich bei der City Press meine Festanstellung als Autor angetreten hatte, stolperte ich über eine Pressemitteilung aus dem Büro des State Attorney General, mit Einzelheiten zur Zerschlagung eines stadtweit operierenden Drogenrings.
Eine der Adressen darin fiel mir sofort ins Auge: der 4700er Block an der Darrah Street. Ich konnte es nicht fassen. Ein Drogenring, direkt in dem Block, wo ich aufgewachsen war! Ich rief den Pressesprecher des State Attorney Generals an, um weitere Einzelheiten zu erfahren, denn die Geschichte bot vielleicht genug Stoff für eine Kolumne. Wie sich herausstellte, war nicht nur mein alter Block betroffen. Der Drogenring operierte direkt aus dem Haus meiner Kindheit heraus.
Ich sah die Namen der Angeklagten nach, dann rief ich meine Mom an.
Sie bestätigte die Geschichte: Ohne es zu wissen, hatte sie ihr Haus an ein (mutmaßliches) Drogendealerpaar verkauft.
»Sie schienen ein nettes junges Paar zu sein.«
Da bin ich sicher. Wer konnte schon ahnen, dass sie eine Organisation leiteten, die in
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