Alte Feinde Thriller
Mehr nicht. Falls er mich wiedererkannte, war das ein Beweis dafür, dass das alles tatsächlich passiert war, dass ich in der Vergangenheit mit ihm gesprochen hatte. Dass ich der freundliche Geist aus dem Stockwerk über ihm war, der versuchte, seine Mutter davon abzuhalten, ihn zu schlagen. Zwar war ich auch der freundliche Geist, der seine Mutter geküsst hatte, aber das würde ich nicht erwähnen.
Das Eingangstor lag direkt am Roosevelt Boulevard.
Bereits der hohe, schwarze schmiedeeiserne Zaun, der das akkurat gepflegte Grundstück umgab, schien zu sagen: BIS HIERHER UND NICHT WEITER.
Der Plan war folgender: Meghan sollte sich als Anwältin einer fiktiven Firma ausgeben (sie hatte sich sogar falsches Briefpapier ausgedruckt), mit Unterlagen für einen Insassen (William Allen Derace), die eine Nachlasssache betrafen. Meghan war attraktiv, selbstbewusst und in der Lage, etwas Anwaltskauderwelsch vom Stapel zu lassen. Schließlich hatte sie ihrem Vater jahrelang bei der Arbeit zugesehen.
Doch die Dame im Empfang ließ sie eiskalt abblitzen. Man erklärte Meghan, dass ihr Vorgesetzter telefonisch einen Termin vereinbaren müsse.
Als sie zum Wagen zurückkehrte und sich auf den Fahrersitz hockte, war sie klitschnass. Sie kochte innerlich dermaßen, dass ich tatsächlich sehen konnte, wie die Regentropfen auf ihrer Stirn zischten und verdampften. Meghan war es nicht gewohnt, dass man ihr die Tür vor der Nase zuschlug.
Mir blieb also nichts anderes übrig, als zu sagen: »Okay, lass mich es mal versuchen.«
Sie sah mich an.
»Ich dachte, du tust so was nicht.«
»Ja, aber es würde sich gut in meinem Lebenslauf machen.«
Ich trug meine eigene Jacke und eine Hose aus dem Wandschrank meines Großvaters, die nicht dazu passte, außerdem eines seiner Anzughemden. Irgendwann
hatten wir mal ungefähr dieselbe Größe gehabt, aber im Alter war er geschrumpft, so dass alles etwas eng saß. Fehlte eigentlich nur noch eine schmale Krawatte, und ich hätte in einer New Wave Power Pop Boy Band mitspielen können.
»Leih mir mal dein Klemmbrett.«
»Warum?«, fragte Meghan.
»Mit dem richtigen Anzug und einem Klemmbrett in der Hand kann man in so ziemlich jedes Gebäude marschieren, ohne dass einen jemand behelligen wird.«
»Und das ist der richtige Anzug dafür?«
»Ich laufe so schnell, dass er nicht auffällt.«
Ich zog mit meinen drei gesunden Fingern am Türgriff.
»Wünsch mir Glück.«
»Viel Glück. Übrigens, wenn die Wachen dich schnappen, mach dir in die Hose und fang an, wie ein Hund zu winseln.«
»Du findest das wohl wahnsinnig komisch, was?«
»Nein, ich meine es ernst. Damit kann man sich doch aus so gut wie jeder Situation befreien. Oder zumindest ergibt sich dadurch die Möglichkeit zur Flucht.«
»Ich bin so schnell zurück, wie’s geht.«
Den Vorgarten des Adams Institutes hatte man derart kurz gestutzt, dass er dabei beinahe draufgegangen wäre. Er glitzerte im Regen. Entschlossen und unbeirrt stapfte ich vorwärts. Ich wirkte absolut überzeugend.
In der Haupthalle gab es einen Empfangstresen. Ich
eilte direkt daran vorbei und lief einen Flur mit Marmorboden hinunter. Irgendjemand rief »Hey!«, doch ich bog um eine weitere Ecke und hielt Ausschau nach einem Namensverzeichnis an der Wand. Zu meiner Rechten befand sich eine Tür, dahinter eine Treppe und eine weitere Tür … durch die ich wieder nach draußen in den Regen gelangte. Mist.
Da ich nicht genau wusste, wohin, hastete ich an der Seite des Gebäudes entlang; währenddessen spürte ich, wie mir das Wasser in den Kragen lief. Schließlich stieß ich auf einen Weg, der zu einer Baumgruppe führte. Dort standen weitere, über das Gelände verstreute Gebäude, zwei- und vierstöckige Bauten. Derace konnte in jedem untergebracht sein. Oder in keinem von ihnen.
Ich marschierte weiter, allerdings nicht zu schnell, um nicht aufzufallen. Als ich die Baumgrenze erreichte, entdeckte ich zur Linken ein weiteres Gebäude - einen nüchternen zweistöckigen Bau aus den Fünfzigern. Welcher dieser Gegenstände sieht anders aus als die anderen? Wenn ich im Auftrag der Regierung Medikamententests durchführen würde, würde ich das dann in einem der geschichtsträchtigen alten Gebäude tun, die hier seit dem Bürgerkrieg stehen, oder in einem mit Bundesgeldern errichteten Neubau? Der Name auf dem Gebäude lautete: THE PAPIRO CENTER.
So viel hatte ich gerade entziffert, als ich eine Hand auf meinem gesunden Arm spürte.
Eigentlich hatte
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