Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil
gehortet, mit der Zeit jedoch vollends nutzlos geworden war. Ein Nachbar, von dem wir wegen der Vorhersage von Schlechtwetter eine Plane zum Abdecken liehen, hatte uns vorgewarnt. Beim Ausräumen seines Elternhauses hätten sie zwei Container benötigt.
Der zweite Container stand Ende August vor dem Haus. Mittlerweile hatte meine Schwester eine eigene Plane gekauft, denn wieder war Regen vorhergesagt. Deshalb machten wir einen großen Teil der Arbeit schon am Freitag, die Mutter und Katharina mit dabei – jetzt kam der Dachboden an die Reihe. Das Haus ist relativ hoch, mit den Fenstern unter dem Giebel etwa acht Meter über Straßenniveau. Von einem der Fenster in Peters ehemaligem Zimmer warfen wir fast alles, was seit Jahren und Jahrzehnten im Dachboden vor sich hingedämmert hatte, in den Garten hinunter – Bretter, Rigipsplatten, Kartons mit abgelegter Kleidung, die alten Stockbetten, Türblätter, Kommoden, Teppiche, Koffer, alte Fensterläden, alte Federbettenund Matratzen, auch einige Möbel, die beim Aufprall auseinanderplatzten. Zertrümmert lagen sie im Garten wie Betrunkene.
Unter den Brettspielen das Spiel des Lebens . Weg damit und fertig, die Geschichte hat sich.
Von Samstag auf Sonntag regnete es, doch Sonntagnachmittag schien wieder die Sonne, so dass wir die Arbeit fortsetzten. Die Mutter holte den Vater nach Hause, es herrschte eine fröhliche Atmosphäre, der Vater schien mit seiner Welt im Reinen. Als ich mit ihm über die Terrasse ging und meinen Arm auf seine Schulter legte, schaute er mich schelmisch an und sagte:
»Aha, jetzt hast du also gleich mein Gestell gesucht, damit du fauler Sack dich ein wenig aufstützen kannst.«
»Für mich wäre es angenehm gewesen, das gebe ich zu.«
Später, als wir wieder arbeiteten, sagte er:
»Ich helfe euch, wenn ihr mich wirklich braucht. Aber die Betonung liegt auf dem wirklich ! Also, ich habe es euch gesagt, und jetzt prüft es und schaut, wie ihr damit zurechtkommt. Ich glaube, ihr seid schlau genug.«
Schon zu Mittag hatte er Helga und mir erklärt, wie geschickt er die Gartenmauer vor dem Haus gebaut habe und wie wohldurchdacht er beim Bau des Hauses vorgegangen sei. Er war in aufgeräumter Stimmung , sehr eloquent, und genoss es, dass wir ihn in höchsten Tönen lobten.
»Ja, von dir können wir nur lernen!«
Natürlich konnten wir von ihm auch lernen: dass manbesser nicht alles aufbewahrt, was irgendwie den Gedanken zulässt, dass es eines fernen Tages noch einmal benötigt wird. – Der Kontrast zu seinem Zimmer im Altersheim war schockierend. Dort lebte er räumlich sehr eingeschränkt ohne die Möglichkeit, noch etwas horten zu können. Und was brauchte der Mensch denn an Dingen bis zu seinem Tod? Daran dachte ich während des Ausräumens oft. Denn selbst im Haus befand sich nur eine Handvoll Besitz, in den das Leben des Vaters so tief eingraviert war, dass wir es unbedingt behalten wollten. Das meiste, was wir aus den Ecken holten, war schlicht und ergreifend Gerümpel.
Sonntagabend, als es schon zu dunkeln begann, machten sich alle vier Kinder des Vaters im Keller zu schaffen. Peter, Helga und Werner in der Werkstatt, ich im Vorratskeller. Dort fand ich eine alte Kaffeemühle, einen Schnitzelklopfer aus Holz, alte Lampenschirme, die Trommel der ersten Waschmaschine meiner Eltern, leere Weinkartons und Bastelzeug. Vom vielen Staub und Schimmel musste ich niesen. Ich öffnete das schmale längliche Fenster unter der Decke, unmittelbar über Straßenniveau. Durch dieses Fenster waren Peter und ich ins Haus eingestiegen, als wir im Alter von dreizehn und zehn Jahren aus dem Schnorchelurlaub mit der Naturschutzjugend zurückgekehrt und um eins in der Nacht vor der Tür abgesetzt worden waren. Ich hatte mich zu meinem Bett geschlichen, in dem Helga lag, vermutlich war ihr eigenes Bett an Feriengäste vermietet. Ich kroch zu ihr unter die Decke, sie wachte auf und sagte, Onkel Alwin sei gestorben und schon begraben;der Mann von Mile. Es hatte mich schockiert, dass in meiner Abwesenheit solche Dinge passierten, dass Begräbnisse stattfanden, dass ein Onkel einfach verschwand.
An Ereignisse wie dieses erinnerte ich mich jetzt, verschlafene Echos, die wir aus staubigen Winkeln schreckten.
Als Helga aus der Werkstatt zwei Fallen zum Fangen von Feldmäusen brachte und fragte, ob man die noch brauche (nein, in Wolfurt gibt es fast keine Feldmäuse mehr, die kann man unter Naturschutz stellen) – da dachte ich an das, was Onkel Paul
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