Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil
machten wir uns auf den Weg. Zwei- oder dreimal berührte er ganz leicht mit dem Handrücken und einmal mit der Handinnenseite meine Wange und bedankte sich, so glücklich machten ihn meine Auskünfte. Ich hatte eine Schale mit Himbeeren mitgebracht und gab ihm die Himbeeren Stück für Stück. Später gingen wir in sein Zimmer und hörten Musik. Zwischendurch redeten wir ein wenig, er konnte sich weiterhin nicht trösten, war aber froh, einen Bruder bei sich zu haben. Nach einiger Zeit hatte ich das Gefühl, er habe sich beruhigt und denke nicht mehr so sehr ans Heimgehen. Und da die Schlafenszeit herangerückt war und ich packen musste für die Abreise, stahl ich mich davon. Ich brachte es nichtübers Herz, mich von ihm zu verabschieden, wortlos ging ich weg und fühlte mich elend. Beim Gehen über den Flur wäre ich am liebsten zurückgerannt, ich dachte an den Ausdruck: Man reißt sich los.
Das ist deine Werkstatt. Fällt dir etwas dazu ein?
Ja, da hat man vieles aufbewahrt, weil man gedacht hat, man braucht es noch. Da sind überall Sachen, die älteren Datums sind. Und du, du arbeitest?
Ich hole mir manchmal einen Schraubenzieher oder eine Feile. Ich arbeite gern mit deinem Werkzeug.
Ich nicht mehr. Bei mir ist es so, dass viel Geistiges irgendwie abhandengekommen ist. Wenn es noch da wäre, hätte ich auch eine Freude daran.
Ich habe eine Freude an dir.
Dann ist es recht. Ich fühle mich nicht verlassen oder enttäuscht. Ich habe Verschiedenes erlebt und Verschiedenes gehabt und Verschiedenes erreicht. Es ist nicht so schlimm, dass jetzt nur mehr wenig Leistung in mir vorhanden ist.
Ich finde, du unterschätzt dich. Ich unterschätze dich nicht. Es ist noch viel vorhanden, wenn auch vielleicht nicht Leistung im herkömmlichen Sinn.
Ja, ja, früher habe ich noch manchmal etwas gemacht, Dinge, denen meine Ideen zugrunde gelegen sind, aber jetzt ist es schwach. Aber egal. Wenn ich beleidigt oder enttäuscht wäre, würde ich euch fragen, ob ihr mir helft. Aber ich bin ganz zufrieden. Ich habe vieles gehabt. Aber heute mag ich – schon geraume Zeit – nicht mehr. Es geht schon länger abwärts mit meinem Tun und Können. Als Jüngerer, da bin ich auch schon erwachsen gewesen, da habe ich vieles gekonnt. Jetzt kann ich, ehrlich gesagt, nichts mehr. – – Nee – – nee. – – Es geht alles daneben. Wobei ich aber durchaus nicht unglücklich bin, dass ich manches nicht mehr beherrsche. Es ist einfach vorbei. Ich kann noch Freude haben, wenn anderen etwas gelingt. Aber meine Federn, die sind fort.
Das Haus hatte seinen Zweck erfüllt. Die Kinder waren darin groß und erwachsen geworden, und dann hatte der alte Kasten noch gehalten, bis der Vater ins Pflegeheim übersiedelt war. Jetzt war alles abgewohnt und aus der Mode gekommen, und mehr als nur eine Stelle bereitete uns Sorgen. Der Vater hatte das Haus auf eigene Faust gebaut, nach dem eigenen Kopf. Seit den siebziger Jahren hatte er immer wieder an- und umgebaut. Was soll ich sagen? Solche Häuser sind immer auch indirekte Selbstporträts.
Dem Haus haftete der Eindruck des Behelfsmäßigen und Geflickten an. Bei den An- und Umbauten hatte der Vater meist erst um Unterstützung gebeten, wenn es zu spät gewesen war. In seinem Job hatte er über Jahrzehnte hinweg alles Wissen besessen, das nötig gewesen war, um unabhängig arbeiten zu können. Bei den Arbeiten am Haus hatte er darauf vertraut, ähnlich sachkundig zu sein, mit nicht ganz so durchschlagendem Erfolg. Stellenweise ließ das Ergebnis sehr zu wünschen übrig. Hinzu kam, dass der Vater nach und nach eine geradezu pathologische Abneigung gegen jegliches Wegwerfen entwickelt hatte. Das Wegwerfen blieb jetzt den Kindern überlassen.
Der dreiundachtzigste Geburtstag des Vaters fiel auf ein Wochenende. Da alle Familienmitglieder anwesend waren, veranlasste die Mutter, dass am Freitag ein großerContainer vor das Haus gestellt wurde. Wir beabsichtigten, das Haus zu entrümpeln.
Die Arbeit ging umstandslos und zügig voran. Allen wurde leichter ums Herz, je mehr sich die Stauräume leerten und je mehr Garten und Garage wieder herzeigbar wurden. Enttäuschend war, dass der Container für unseren Tatendrang bei weitem nicht reichte, kaum hatten wir uns dreimal umgedreht, war er voll. Die obersten Regionen des Hauses hatten wir noch gar nicht angetastet, und auch im Keller stapelte sich weiterhin Zeug, das als möglicherweise nützlich für spätere Zeiten
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