Alte Liebe: Roman
Geschichte.
Was ist das bei Lore? Gönnt sie mir nicht das Gefühl, an dem Abend nichts versäumt zu haben, diesen kleinen Triumph? Irgendwie ist Lore daneben, unzufrieden, leicht gereizt. Manchmal denke ich, dass ihr die Arbeit in der Bibliothek zuviel wird, dass sie sich dort nicht mehr wohl fühlt, dass sie gerne aufhören würde, aber Angst davor hat, Rentnerin neben dem Rentner zu sein. Sie wird ahnen, dass ein Lebensabend auf Kulturreisen mit mir nicht zu machen ist. Aber vielleicht irre ich mich und es entnerven sie nur die Gedanken an diese Leipziger Hochzeit mehr, als sie zugeben will.
Gloria ruft ja ihre Mutter ständig an, teilt ihr alle Details der Hochzeitsplanung mit. Was Lore mir nach solchen endlosen Telefonaten erzählt, ist der blanke Horror. Die Fürstenhochzeit zu Leipzig! Gloria und die Kleine lassen sich katholisch taufen. Kirchliche Trauung, fünfhundert geladene Gäste. Prominenz aus ganz Deutschland und Übersee. Weiße Hochzeitskutsche, Fahrt durch die Innenstadt. Peter Maffay und ein Tenor der Leipziger Oper werden singen. Der Bräutigam wollte eigentlich Wolfgang Petry verpflichten, der hat aber abgesagt. Der Fernsehkoch Lafer konzipiert, kocht und präsentiert persönlich das achtgängige Menu. Ein angemietetes Filmteam wird die ganze Hochzeit dokumentieren. Fürs Bredowsche Familienarchiv. Am Abend gibt es Feuerwerk und Kabarettprogramm. Michael Mittermeier ist angefragt. Ich kenne den nicht, soll ein Comedian sein. Es ist, sagt Gloria, nur eine Frage des Geldes, man kriegt sie alle. Und Geld, so wird der Bräutigam zitiert, spielt keine Rolle. Die Hochzeit wird über hunderttausend Euro kosten. Als mir Lore das erzählte, bin ich ausgerastet. Sind die noch gescheit? Das soll meine Tochter sein?
Gestern habe ich dann mit Gloria telefoniert, bin ihr sozusagen ins Messer gelaufen. Immer konnte ich einem Gespräch entkommen, gleich an Lore weitergeben. Wenn ich alleine war und die Nummer sah, bin ich nicht drangegangen. Gestern hat sie, wie sie sagte, vom Handy ihrer Tochter angerufen. Ja, Zehnjährige haben heute ein Handy. Schrecklich. Sie nennt mich jetzt Papa. Seit ihrem vierzehnten Lebensjahr hat sie mich Harry genannt. Sie wollte das immer so. Jetzt plötzlich: Hallo Papa, wie geht es dir? Papa, klingt wie Pappe. Furchtbar. Ja, wie geht es mir? Wie soll es mir gehen, man wurschtelt sich durch. Solches Zeug habe ich geredet, merkte, dass ich mir mit meiner Tochter nichts zu sagen habe. Ob ich zur Hochzeit komme. Mama, Lore heißt jetzt auch wieder Mama, Mama habe da was angedeutet, dass ich eventuell einen wichtigen Termin hätte, was das denn um Gottes willen für ein wichtiger Termin sei? Klassentreffen, log ich spontan. Nach über vierzig Jahren trifft sich, sagte ich, die Abiturklasse. Ich war richtig stolz auf meine Lüge. Dieses Treffen war schon im letzten Jahr, was Gloria natürlich nicht weiß. Es war übrigens langweilig, öde, überflüssig. Na, sagt sie, du musst wissen, was dir wichtiger ist, Papa, und du ahnst ja gar nicht, was dir da entgeht. Spitz, ich würde sagen, frech hat sie das gesagt. Danach habe ich beschlossen: ich fahre da nicht hin. Heiratet ohne mich! Schließlich ahne ich schon sehr stark, was mir da entgehen wird. Ich werde, mein liebes Kind, da du dich jetzt in einen goldenen Käfig begibst, sehr gut ohne die Leipziger Fürstenhochzeit auskommen können. Ob deine Mutter das auch können wird, wage ich zu bezweifeln.
*
»Lore, es ist schamlos und dumm und gedankenlos – angesichts einer Welt, die gerade aus den Angeln gerät.«
»Du hast ja recht, Harry. Wie könnte ich einen solchen Pomp gut finden? Aber es ist unsere Tochter, und wir haben nur zwei Möglichkeiten.«
»Klar, hinfahren oder nicht hinfahren, was sonst?«
»Letzteres würde sie uns nicht verzeihen.«
»Damit kann ich leben. Gut sogar.«
»Ich nicht.«
»Dann sind wir da, wo wir schon vor Wochen waren: du fährst hin, ich bleibe hier. Aus.«
»Lieber Harry, kannst du vielleicht einen Augenblick darüber nachdenken, dass es mir eine große Hilfe wäre, wenn du dabei wärest, wenn wir gemeinsam hinführen – wenn wir vielleicht sogar dort gemeinsam lästern würden über die Leute. Weißt du noch, wir haben das immer ›bezichtigen‹ genannt, nach Thomas Bernhard, sich hinsetzen und andere bezichtigen. Wir bezichtigen und werden Zeugen dieses Größenwahns.«
»Größenwahn, das ist gut, das Wort habe ich gesucht. Ja, Lore, ich denke darüber nach.«
»Vielleicht ist das
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