Alte Liebe: Roman
Theo hatte einen Herzinfarkt, Rita ist gesund und legt sich freiwillig in Narkosen, um sich liften zu lassen. Was für ein Irrsinn. Da bestimmen die Krankheiten den Rhythmus. Bei uns ist alles noch in Ordnung, geregelte Tage, zwar schlaflose Nächte, aber Schlaf braucht man irgendwann gar nicht mehr. Fast nicht. Er schon, er schläft tief, und ich hör ihn durch die Tür schnarchen. Und ich liege wach und grübele. Hätte es ein anderes Leben gegeben, mit einem anregenderen Mann? So darf ich nicht denken. Harry ist ein guter Mann. Ich bin auch schwierig, das bin ich wirklich. Meine Stimmungen wechseln schnell. Das ist für Harry nicht immer einfach. Er geht dann meist in seinen Garten, bis ich mich wieder beruhigt habe. Gut, dass er den Garten hat. Ich hasse Gartenarbeit, ich würde nie in der Erde wühlen, an Bäumen herumschnibbeln – nein, es ist gut, dass ich meine Arbeit noch habe. Macht mir Freude. Ich bin gern mit Menschen zusammen, die Bücher lesen. Nur das mit den Lesungen … soll das doch in Zukunft Christa machen. Ich organisier jetzt noch die Lesungen für dieses Jahr, und dann ist Schluss. Ich zieh mich zurück aus diesen Dingen.
Ich könnte auch mal wieder backen.
Großer Gott, was denke ich denn da.
*
»Harry, soll ich mal wieder backen?«
»Backen? Was willst du denn backen?«
»Früher hast du so gern Frankfurter Kranz gegessen.«
»Um Gottes willen, nein, Lore, ich werd doch viel zu dick. Wenn, dann kaufen wir mal ein Stück Frankfurter Kranz, aber doch nicht backen …«
»Gekauft ist nicht dasselbe.«
»Wie kommst du denn jetzt auf so was, ich denke, du hast kaum Zeit zum Kochen, und jetzt willst du auch noch backen?«
»Ich dachte nur. Na ja. Vergiss es.«
»Ich könnte mal wieder Tafelspitz machen.«
»Das wär wunderbar, mach das. Ist immer so lecker, dein Tafelspitz. Hat Mutter so gern gegessen, weißt du noch?«
»Wir müssen mal wieder hin.«
»Das deprimiert mich so. Sie merkt es ja nicht mal, wenn wir da sind.«
»Ich könnte mich ohrfeigen, dass wir damals Theo nicht gezwungen haben, gegen diese Magensonde zu sein. Jetzt wird sie ernährt wie ein Astronaut und bleibt am Leben, ohne zu spüren, dass sie lebt.«
»Ich kann das alles kaum noch ertragen. Wir müssen unbedingt diese Patientenverfügung machen, dass das mit uns nicht passiert.«
»Du wirst doch hundert.«
»Ja, aber nicht so. So will ich nicht hundert werden. Und du wirst ein Pflegefall, wenn du weiter so viel Weißbier trinkst und Zigarren rauchst.«
»Bei mir macht es bumm und ich bin weg.«
»Das wünscht sich jeder.«
»Weißt du noch, der blöde Fragebogen in der FAZ damals. Die letzte Frage war doch immer: Wie möchten Sie sterben?«
»Ja, weiß ich noch, und alle schrieben ›schnell, schmerzlos, im Schlaf‹, und einer hatte durchschaut, was für eine saudumme Frage das ist, und hatte geschrieben: ›schreiend vor Schmerzen, qualvoll und über lange Zeit‹.«
»Köstlich. Ja. Bumm und aus.«
»Das wird nicht so sein bei dir. Und ich will nicht so daliegen wie meine Mutter.«
»Wirst du nicht. Achte ich drauf.«
»Dann bist du ja schon tot, bumm und weg.«
»Dann achtet Gloria drauf. Überhaupt, hast du was gehört?«
»Ich wollte gleich mal anrufen.«
»Du rufst wohl jeden Tag an?«
»Ja. Wir reden eben über die Hochzeitsvorbereitungen.«
»Großer Gott. Hochzeitsvorbereitungen. Jetzt schon, im Sommer? Glaubst du wirklich, die machen diesen ganzen Quatsch, Torte, Reden, Tanz mit der Braut und so?«
»Ich fürchte fast.«
»Was schenken wir ihr bloß?«
»Ich dachte an Mutters schönes Meißner Porzellan. Das Teeservice mit den Blumen und den kleinen Bienen. Das hat Gloria immer so geliebt.«
»Ist das denn noch vollständig?«
»Eine Tasse fehlt und die Kanne hat keinen Henkel. Der ist abgebrochen, aber noch da. Vielleicht kannst du das kleben?«
»Meinst du, sie freut sich darüber?«
»Herrgott Harry, ich weiß es nicht, wenn du eine bessere Idee hast, bitte sehr.«
»Was bist du denn so gereizt?«
»Ich bin nicht gereizt.«
10 HARRY
So ist Lore. Mir sagt sie, die Lesung mit Walser sei ganz wunderbar gewesen, und später telefoniert sie mit Heidi und ich höre, dass der Abend eine totale Enttäuschung war. Wie alt muss man werden, um die Frauen zu verstehen? Der Satz ist nicht von mir. Ede sagt das immer. Er war viermal verheiratet. Er weiß, wovon er redet. Ich weiß allerdings, dass seine Frauen Ede auch nicht verstanden haben. Aber das ist eine andere
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