Alte Liebe: Roman
Ganze ja derart überzogen und grauenhaft, dass wir unseren Spaß daran hätten, uns darüber aufzuregen.«
»Sozusagen eine Auffrischungskur für den alten antikapitalistischen Kampfgeist der Sechzigerjahre. Das gefällt mir irgendwie.«
»Mir auch.«
»Was anderes, Lore: Unsere Tochter und unsere Enkelin werden ja nun bis an ihr Lebensende bestens versorgt sein, sollten wir da nicht endlich mal ans Testament gehen? Angesichts dieser letzten Entwicklung wäre es mir furchtbar, wenn unser Erbe quasi in den Bredowschen Besitz einginge – als Peanuts sozusagen.«
»Wenn du stirbst, erbe ich doch sowieso erst einmal.«
»Nicht automatisch alles. Auch das müssen wir festschreiben.«
»Ach?!«
»Die leibliche Tochter hat einen Pflichtanteil. Wenn wir beide tot sind und keine Regelung getroffen haben, kriegt sie alles.«
»Wie sollen wir beide zur selben Zeit tot sein?«
»Wir fahren zur Leipziger Hochzeit mit dem Zug. Der Zug entgleist, hundert Opfer, wir unter ihnen. Die Bahn bedauert, wir aber sind tot.«
»Wir fahren doch mit dem Auto, oder?«
»Da ist die Gefahr noch größer.«
»Wir können doch nicht in zwei verschiedenen Zügen fahren oder in zwei Autos, nur damit unsere Tochter nicht erbt.«
»Wir können ein Testament machen.«
»Ja, aber nicht heute.«
»Das sagen wir seit Jahren.«
»Morgen, Harry, morgen.«
»Ich denke, ich sehe es schon.«
»Heute bin ich einfach zu müde. Es war heute anstrengend in der Bibliothek. Alles hing wieder einmal an mir.«
»Gib’s dran, Lore, hör auf.«
»Und dann?«
»Verjuxen wir das Erbe.«
11 LORE
Er hat seinen Garten. Rittersporn Völkerfrieden und Lanzenträger, Pfingstrosen, Fette Henne, Giersch. Er kramt und zupft und macht und schwitzt und trinkt Bier und wühlt und ist glücklich und denkt nichts. Und ich sitz hier rum, seh ihm zu, müsste vielleicht helfen, die Biotonne vollmachen, mal den Schuppen aufräumen, aber es ist, als wär ich festgenagelt auf diesem Terrassenplatz. Er in seiner Welt, ich in meiner. ›In between, there are doors‹, hieß es früher. Von wem? Keine Ahnung, danach haben die Doors sich so benannt. Jim Morrison. So ein schöner Mann, längst tot. Alles Schöne ist tot. Und Türen sind längst nicht mehr überall.
Was für ein blöder Gedanke. Ich verblöde. Was ist mit mir, was ist mit mir. Ich hätte nicht gedacht, dass mir das Altwerden so zusetzt. ›Es ist kein Kampf‹, schreibt Philip Roth, ›es ist ein Massaker.‹ Da hat er mal recht. Sonst nicht mein Autor, erzählt gut, aber alles ICH ICH ICH , aber da hat er recht. Ein Massaker. Harry empfindet das nicht so. Höchstens, dass ihm nach vier Stunden im Garten der Rücken weh tut. Er nimmt jetzt auch Knieschoner, wenn er im Beet kniet. Großer Gott, sieht das bescheuert aus. Aber bitte. Knieschoner.
Ich bin eifersüchtig auf den Garten. Er lenkt ihn ab, er führt ihn ganz woandershin, er ist mit den Pflanzen zusammen in einer stillen, schönen Welt, wo die Bienen summen und das zahme Rotkehlchen in der Nähe herumhüpft. Ich mag das alles nicht, und trotzdem beneide ich ihn. Ich hab bloß immer wieder meine Bücher, und was lese ich darin? Dass Altwerden ein Massaker ist, vielen Dank auch.
Die Hochzeit rückt näher. Wahrscheinlich bin ich deshalb so unleidlich. Ich bin unruhig, ich schlafe nicht, ich ertappe mich bei der Frage, was ich da anziehen soll – ich! Mein Leben lang waren mir Klamotten egal, na, ziemlich. Ich hab so ein paar Vorlieben – rot, schwarz, Seidensamt, nie beige, nie braun oder gelb, keine Rüschen, wenig Muster, klassisch, am liebsten schmale Hosen, T-Shirt oder Pullover, gutes Jackett. Jacketts und Blazer können nicht teuer genug sein. Alles darf billig sein, einfache Jeans, einfache Shirts, aber Jacketts und Schuhe müssen immer gut und teuer sein.
Ich kann ja nicht in Jeans und Blazer da hin. Peter Maffay. Hält man das, halte ich das aus? Wie kommt sie darauf? Jim Morrison, ja. Aber so was gibt’s heute gar nicht mehr. Wer wäre ein Äquivalent? Ach, nur die Alten, die guten Alten, Leonard Cohen, John Mayall – Peter Maffay. ›Über sieben Brücken musst du gehen.‹ Der ist auch schon sechzig, aber wie furchtbar, immer noch in Lederklamotten, immer noch der Kleingartenrocker. Cohen dagegen – Anzug, Hut, teure Jacketts.
Ich denke so viel Mist. Ich hab so viel Angst. Ich hab Angst vor der Hochzeit, vor diesem Bredow, vor Leipzig, vor mir, vor Harry, vor allem.
Ich bin einfach nur blöd. Ich lass das jetzt. Ich gehe jetzt
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