Alte Liebe: Roman
du es großartig findest, dass ich diese dämlichen Schlipse nicht trage. Wie schön ein offenes weißes oder schwarzes Hemd ist. Ich kann mir ja einen weißen Seidenschal umhängen, aber eine Krawatte kriegt keiner mehr an mich ran. Nicht mal auf deiner Beerdigung.«
»Ach, du denkst schon an meine Beerdigung?«
»So gefällst du mir schon besser. Wir werden doch jetzt nicht anfangen, uns nach spießigen Spielregeln zu richten, die unser ganzes Leben nicht galten.«
»Nein. Du hast recht. Was soll ich denn anziehen, lang?«
»Bloß nicht. Du hast doch gar kein langes Kleid, oder?«
»Doch, diesen roten Seidenrock, und dazu ein Oberteil.«
»Nein, mach das nicht. Zirkus. Wir putzen uns nicht raus. Zieh eine schöne Hose an und deinen schwarzen Samtblazer von Armani, so siehst du immer am besten aus.«
»Ich kann doch da nicht in Hosen hingehen.«
»Dann geh halt ohne Hosen. Siehst du, jetzt lachst du wieder. Guck mal, das Rotkehlchen. Immer um mich rum.«
»Ich wünschte, ich hätte was, was mich so ablenkt und tröstet wie dich dein Garten.«
»Du hast doch deine Bücher.«
»Ach, Harry. Wovon handeln alle Bücher?«
»Sag’s mir.«
»Von Liebe, die nicht klappt, vom Altwerden, vom Tod, von schrecklichen Kindheiten.«
»Dann lass es sein, du hast genug gelesen in deinem Leben, schneid mal die verblühten Akeleien zurück.«
»Welche sind das?«
»Siehst du, du Paulo Coelho und Saul Bellow, ich aquilegia und aconitum.«
»Harry?«
»Ja?«
»Sind wir eigentlich glücklich?«
»Mal anders gefragt: was soll das sein, glücklich?«
»Sind wir es?«
»Meistens.«
12 HARRY
Mein Garten! Er ist mir ans Herz gewachsen. Mein Gott, als wir das Haus kauften, hatten wir keine Ahnung von Gartendingen. Die anfängliche Ausrede für jede Aktivität, es sei doch romantisch, alles verwildern zu lassen, erwies sich als Trugschluss. Brombeersträucher, Brennnesseln und Giersch – es sah furchtbar aus. Und die Nachbarn begannen sich zu beschweren, weil ihnen der Wind die Samen unserer Unkräuter in die gärtnerisch gestalteten Beete wehte. Sie wollten eben keinen Löwenzahn in ihren englischen Rasen. Lore hasst Gartenarbeit. War also ich gefragt, oder man hätte eine Gartenbaufirma engagieren müssen. Sonst noch was! Einige von denen beweisen ihre Phantasielosigkeit auf den Gräbern des nahen Friedhofes, wo meine Eltern liegen.
Mein Vater war begeisterter Schrebergärtner im Eisenbahner-Garten-Verein. Aber ich hab mich in jungen Jahren für alles andere interessiert als für seinen Schrebergarten. Ich kannte keine Pflanze mit Namen, klappte die Ohren zu, wenn er seiner Begeisterung für Gehegtes und Gepflegtes freien Lauf ließ.
Nun war ich gefordert und ich nahm die Herausforderung an. Ich habe Gartenbücher gekauft, bin in die Gärtnereien gegangen und habe mich mit den alten Eisenbahnerkollegen meines Vaters unterhalten. Ich recherchierte, lernte, plante, kaufte und pflanzte, machte alle Fehler, die man machen kann, hatte erste Erfolge, verbesserte mich und hatte nach einigen Jahren einen ganz respektablen Garten. Und vor allem: Der Garten wurde mir zur Leidenschaft. Heute kenne ich jede meiner Pflanzen, auch ihren lateinischen Namen, habe ein beinahe professionelles System in meinem Staudenbeet, sorge für Blühendes fast rund ums Jahr, und sogar Lore, die den Zeitaufwand für den Garten daran misst, wie viele Bücher man in der Zeit lesen könnte, sagt manchmal beinahe stolz zu Besuchern: Harry hat einen grünen Daumen. Mein von vielen nicht verstandener Stolz ist: Es gibt in diesem Garten keinen Rasen, also keinen Rasenmäher und somit keinen Rasenmäherlärm. Es gibt Beete, Sträucher, Büsche, Stauden, verschlungene Wege, mit Schotter von Baustellen gepflastert. Und es gibt eine Laube unter einem Rosenbogen mit einer Bank, auf der Lore gerne ihre Bücher liest. Ja, der Garten macht viel Arbeit, mehr, als ich je dachte. Und er bestraft dich, wenn du ihn mal eine Woche vernachlässigst.
In letzter Zeit, ich muss es zugeben, ist mir die Arbeit manchmal zuviel. Schon vereinfache ich die Dinge, trenne mich von Exoten, vermehre das, was sich gerne und gut ausbreitet. Die Arbeit geht ins Kreuz. Der Garten ist es, der mir sagt: Harry, du wirst alt. Und er fragt mich: Was wird aus mir, Harry, wenn du plötzlich nicht mehr bist? Lore kommt sicher auch ohne mich im Leben klar. Aber mit dem Garten wird sie allein nicht fertig werden. Sie wird das Haus verkaufen, das wäre vernünftig, oder sie wird alles
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