Alte Liebe: Roman
drei?«
»Fünf!«
»Sonst noch was.«
14 HARRY
Wenn das mit den Horrornachrichten aus der Leipziger Nobelsociety so weitergeht, dann wird noch meine Lore die sein, die nicht zur Hochzeit fahren will. Die künftige Braut hat ihrer Mutter gestern mitgeteilt, dass zum Hochzeitskleid ein weißes Nerzjäckchen gehört. Lore war außer sich. Ihr Leben lang hat sie keinen Pelz getragen, hat sich für den Tierschutz und gegen das Tragen von Pelzen engagiert, isst nur wenig Fleisch, weil sie die Vorstellung von der Massentierhaltung nicht ertragen kann. Ironie der Geschichte: Unsere Tochter Gloria war es, die unser Bewusstsein für das Elend der Tiere geschärft hat. Mit vierzehn hörte sie auf, Fleisch zu essen. Mit sechzehn nahm sie an einer radikalen Demonstration gegen Pelze teil. Man hat sie erwischt, als sie eine pelztragende Passantin besprühte. Wir haben sie bei der Polizei abgeholt und waren sehr stolz auf sie. Aus Solidarität zu ihr versuchten wir auch vegetarisch zu leben. Lore bekam das gut hin. Ich ging heimlich manchmal mit Ede in ein Steakhaus und schlug zu. Jetzt isst Gloria längst wieder Fleisch, das Kind auch, glaube ich. Ja, ich weiß so was nicht, und es interessiert mich auch nicht.
Nerzjäckchen! Bei einer Hochzeit am zweiten September! Man glaubt es nicht.
Leider ist es mir nicht gelungen, Lores Empörung dahingehend zu nutzen, dass wir unsere Reise zur Hochzeit absagen. Lore glaubt, dass sie Gloria das Nerzjäckchen noch ausreden kann. Da bin ich skeptisch. Sie hatte sich ja schon bei ihrer Mutter die Zähne ausgebissen. Leni trug Pelze, sogar im Sommer.
Ach, Leni. Gestern war ich bei ihr. Kein Erkennen, keine Reaktion. Astronautenkost per Sonde. Durchgelegener Rücken, ein Gerippe, eine Hülle, sonst nichts, nur wegen Theo, der sich nie um seine Mutter gekümmert hat und sich auch jetzt nicht kümmert. Plötzlich hatte er ›ethische Bedenken‹, faselte von ›Euthanasie‹ und verhinderte eine Erlösung. Dabei hasste er seine Mutter. Immer machte er ihr Vorwürfe, fühlte er sich gegenüber seiner Schwester zurückgesetzt. Theo war schlecht in der Schule, galt als schwer erziehbar, lebte schon früh von Betrügereien und ist bis heute eine zwielichtige Gestalt. Die Mutter zog Lore vor, die Fleißige, die kleine kluge Überfliegerin, der alles in den Schoß fiel. Dabei war das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter beileibe nicht harmonisch. Leni war stark, dominierend, egoistisch. Trotzdem mochte ich sie – ich sage mochte, denn was da im St. Antonius-Heim liegt, ist nicht mehr die Leni, über die ich tausend Geschichten erzählen könnte, Leni, die immer für Überraschungen gut war, Leni, die mir fünfzehn Jahre lang oder länger zum Geburtstag immer ›Gute Geister in Nuss‹ von ALDI schenkte.
Wir sind immer zusammen zum ALDI gefahren. Das hat sie geliebt. Lore konnte mit der geizigen Pfennigfuchserei ihrer Mutter nicht gut umgehen und fuhr nie mit. Mich hat es belustigt, mit Leni einzukaufen. Wir nahmen immer jeder einen Einkaufswagen und machten jeder seine Einkäufe. Manchmal zahlte ich an der Kasse für Leni mit, manchmal nicht. Das war so ein Spielchen. Ich wollte nicht, dass aus dem Zahlen ein Automatismus wurde. Und für sie war es ein Sport, es so hinzukriegen, dass ich zahlte. Entweder hatte sie ihre Geldbörse vergessen, oder sie fiel ihr hin und sie hob sie so langsam auf, dass ich aus reiner Ungeduld gezahlt habe.
Einmal, es war vierzehn Tage vor meinem Geburtstag, nahm Leni im ALDI die besagte Schachtel ›Gute Geister in Nuss‹, gab sie mir mit den Worten, hier hast du schon mal dein Geburtstagsgeschenk, nimm es, dann muss ich es nicht einpacken. An der Kasse habe ich mein Geburtstagsgeschenk bezahlt und mich später im Auto bedankt. Für Leni war der Vorgang völlig normal, ich hatte Spaß. So will ich da nicht liegen, und so will ich dich nicht liegen sehen.
*
»Lore, in zwei Monaten ist Lenis Konto aufgebraucht. Du solltest deinem Bruder langsam beibringen, dass er sich künftig zur Hälfte an den Kosten beteiligen muss.«
»O Gott. Das wird ein Kampf.«
»Ich sehe nicht ein, dass wir das alles bezahlen.«
»Jaja, das verstehe ich, aber –«
»Er wollte diese Lebensverlängerung. Also soll er jetzt auch dafür mit aufkommen.«
»Kannst du ihm das klarmachen?«
»Ungern. Du weißt, was ich von ihm halte.«
»Auf mich hört der nicht.«
»Und ich habe damals geschworen, dass ich nie mehr mit Theo über Geld rede, wenn ich überhaupt noch mit ihm
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