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Alte Liebe: Roman

Alte Liebe: Roman

Titel: Alte Liebe: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich , Bernd Schroeder
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für so ein Doppelleben hätte ich nichts übrig. Muss doch anstrengend sein.«
    »Die Drechsel sagt, der Mann in München beziehungsweise in Freiburg sei ein guter, ausgeglichener und treusorgender Familienvater gewesen. Beiden Familien.«
    »Ja, manche kommen mit einer Familie nicht zurecht, andere schaffen zwei. Übrigens, das Testament dieses Mannes wäre interessant.«
    »Womit wir wieder beim leidigen Thema wären.«
    »Lassen wirs für heute.«
    »Weise Einsicht, Harry.«
    »Noch was, Lore: Geh morgen bitte nicht über die Straße. Ich brauch dich noch.«
    »Das klingt ja fast wie eine Liebeserklärung.«
    »Es ist eine.«

13 LORE

    Mein Gott, war das heute deprimierend bei Mutter. Da liegt dieses arme Wesen, Augen offen, sieht nichts, ist nicht ansprechbar, fühlt nichts – aber was weiß man. Fühlt bestimmt etwas. Sie atmet noch, sie ist wach, sie wird doch etwas fühlen – aber was? Blickt sie weit zurück in ihre Kindheit? Sie sieht aus wie auf den Kinderfotos, ein kleines Mädchen mit einem dünnen Haarkränzchen. Ich hab einfach nur ihre Hand gehalten, das kleine Radio angemacht, dann haben wir ein schönes Violinkonzert gehört, und ich hab die ganze Zeit gedacht: ach, dieses wunderbare Violinkonzert von Mendelssohn, ich kenne da jeden Ton, und dann war es von Brahms. Hab ich wieder mal verwechselt. Wie immer, wie alles, ich bring alles durcheinander. Aber es war schön, Brahms oder Mendelssohn, wir haben es gehört und genossen. Na ja. Ich habe es gehört. Sie auch? Kein Lächeln, keine Regung, nichts. Nur, als ich ihre Hand losließ, um wieder zu gehen, hat sie für einen Augenblick den Kopf gedreht, als würde sie mich ansehen wollen. Aber ihre Augen sind so leer, so tot. Da habe ich mich wieder hingesetzt und nur geweint, und ich hab dann einfach erzählt, von Gloria, von Harry, von mir, ach Mama, hab ich gesagt, ich würde dich jetzt brauchen, deinen Witz, deine Schärfe, deinen Rat. Du warst immer so unbestechlich. Du hast dir nie was vorgemacht, dir nicht und anderen nicht. Ich versuche immer, es allen recht zu machen. Ich brauche Harmonie. Ich kann nicht einfach so lospoltern wie Harry, ich kann nicht sagen: Leckt mich doch alle am Arsch.
    Ob sie mich hört, wenn ich rede? Mir hat es jedenfalls gutgetan. Da hängt sie, an ihren Schläuchen, an ihrer Magensonde, und lebt, falls das Leben ist. Scheiß doch aufs Testament, aber diese Patientenverfügung, die müssen wir machen. Die ist wichtig. Ich will nicht so liegen.
    Als ich ging, saßen ein paar Alte auf dem Flur in Rollstühlen, starrten vor sich hin, eine sah mich an und sagte: Wann kommt der Bus? Gleich, habe ich gesagt, gleich kommt der Bus, Frau Teubner. Sie denkt nämlich immer, sie müsste in die Schule. Das ist gut, sagte sie, ich muss nämlich in die Schule.
    Was wird nur aus uns. Wieder kleine Kinder, wir werden am Ende des Lebens zu Kindern, und dann zu Asche und Erde und das war’s dann, und darum so ein Theater?
    Aber ich weiß jetzt, was ich Gloria schenke, auf dem Rückweg vom Pflegeheim fiel es mir ein. Sie kriegt Mutters Perlenkette. Ich kann mich davon trennen, für Gloria kann ich das. Ich trage ehrlich gesagt sowieso keine Perlen, aber Mutter hat die immer getragen und sah toll aus damit. Sie hat sie mir geschenkt nach dem ersten leichten Schlaganfall. Und ich hatte noch die Perlenkette, die mein Vater mir zur Konfirmation geschenkt hat – damals waren sie schon getrennt, er kam an und schenkte mir diese Perlenkette. Ähnlich wie die von Mutter. Mutters Perlen sind gleich groß, seine werden nach hinten kleiner, die Kette ist länger, und beide so blöd geknüpft, wie man das früher hatte, und die Knüpfbänder und Knoten ganz dreckig. Als Mutter ins Pflegeheim kam, hab ich beide Perlenketten zu dieser verarmten Adeligen gebracht, die Ketten auffädelt und einfache Reparaturen macht, neue Schlösser dran und so, wie heißt die noch? Wie heißt die – Frau von, Frau von …? Ist ja auch egal. Ich hab sie ihr gebracht und gesagt, bitte neu aufziehen, neue Schlösser, bisschen kürzer und so. Hat hundertfünfzig Euro gekostet, und als ich die Ketten abholte, hat sie gesagt: Sie wissen schon, eine ist unecht. Das hat mich umgehauen. Nein, sagte ich, weiß ich nicht, wie, unecht? Komplett unecht, sagte sie, die andere, das sind echte Perlen. Ich habe ihr sofort gesagt: ich will es nicht wissen. Ich will nicht wissen, ob Papa zu betrügerisch oder zu blöd war oder ob er dachte, für so eine Vierzehnjährige tun’s doch

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