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Alte Liebe: Roman

Alte Liebe: Roman

Titel: Alte Liebe: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich , Bernd Schroeder
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schimpft. Ich setz mich doch nicht morgens um neun mit meinem Kaffee vor Harrys Computer, wie furchtbar ist das denn. Mir reicht der Computer in der Bibliothek, und den hab ich streng zum Arbeiten, da will ich nicht Zeitung lesen oder so was. Ich fühl mich manchmal hoffnungslos rückständig.
    Aber andererseits, muss man denn alles mitmachen, ist das wichtig? Was ist wichtig? Es verschwimmt alles so. Wir regen uns auf, wenn der Papst einen Antisemiten zurück in die Kirche holt. Warum eigentlich? Der ganze Verein ist doch marode und verlogen, sollen sie doch machen, was sie wollen, warum regt mich das auf? Weil ich das Gute will. Weil ich so erzogen wurde, dass ich gewisse Werte achte und einhalte und, ja, einfordere. Ich kann das nicht hinnehmen, es steht gegen alles, was man mir beigebracht hat: Toleranz, Nächstenliebe, Verständnis. Stattdessen Stellvertreter Gottes, als könnte es so was geben, unfehlbar, als könnte es so was geben, und nun noch dies. Mutter hat diese ganzen heiligen Herren in Kleidchen abgrundtief gehasst. Ich hasse sie nicht, ich verachte sie. Was für ein faules Drohnendasein, nur um möglichst viele Menschen unter ihre Macht zu kriegen, um unermessliche Reichtümer anzuhäufen, während die halbe Welt hungert, um sich abzuschotten in ihrem eigenen Staat, was für eine Bande. Weg damit, Mutter hat recht. Nichts gegen die Kultur der Kirche – schöne Bauten hat sie uns beschert, Gott wohnt immer prächtig und in bester Lage. Herrliche Musik, großartige Bilder, Klöster – jaja. Aber um welchen Preis. Inquisition, Folter, Verfolgung, Kreuzzüge, Hexenverbrennungen, ganze Länder unterworfen, Drohungen, Unterdrückung, Schweigen im Dritten Reich und jetzt – Antisemiten und Holocaustleugner nur immer rein in den Verein.
    Heidi sagt auch: weg mit denen. Ich bin sicher, irgendwann wird das alles abgeschafft. Aber das erleben wir nicht mehr. Ich bestimmt nicht. Und Mutter leider auch nicht.

    *

    »Harry, heute Abend liest Daniel Kehlmann bei uns, willst du mal kommen?«
    »Daniel Kehlmann?«
    »Der mit der ›Vermessung der Welt‹. Das hat dir gut gefallen, Gauß und Humboldt.«
    »Ach der, ja, tolles Buch, Humboldt schläft auch nachts in Uniform, um die Contenance nicht zu verlieren, woher der Kehlmann so was weiß, frage ich mich.«
    »Ein Autor darf phantasieren.«
    »Auch mit realen Figuren?«
    »Ja, klar. Das eben macht ja Literatur aus. Kommst du?«
    »Nein, ich kenn das Buch doch, warum soll ich mir das denn noch mal vorlesen lassen?«
    »Um den Autor kennenzulernen.«
    »Lernt man bei so was einen Autor denn kennen?«
    »Ja, natürlich. Außerdem liest er nicht aus dem Buch, sondern aus dem neuen.«
    »Wie heißt das?«
    »Ruhm.«
    »Aha. Kaum ist er berühmt, schon schreibt er über Ruhm? Raffiniert. Worum geht’s da?«
    »Um – äh – das ist schwer zu sagen. Da mischen sich reale und fiktive Personen, also das sind einzelne Geschichten, und die –«
    »Ist es gut?«
    »Ehrlich jetzt?«
    »Na klar ehrlich.«
    »Nein. Aber das sage ICH . Meine kleine dumme Meinung. Es ist wirr. Alle loben es, aber ich finde, es ist nur was für Kritiker. So Tüftelliteratur.«
    »Tüftelliteratur. Und da willst du mich hinlocken?«
    »Meinetwegen. Komm doch mal mit.«
    »Ach Lore, du weißt doch, wie mürrisch ich dann da rumsitze, davon haben wir beide nichts.«
    »Hätte ja mal sein können. Nie gehst du irgendwo mit hin. Heidi kommt mit ihrem Lover.«
    »Heidi ist auch mehr an Literatur interessiert als ich, und außerdem zeigt sie sich gern in der Öffentlichkeit mit ihrem Alfred.«
    »Arthur.«
    »Arthur?«
    »Arthur.«
    »Mit ihrem Arthur. Was macht der eigentlich?«
    »Der ist irgendwie Computerfachmann oder so was.«
    »Und der liest?«
    »Weiß ich nicht, aber er geht ihr zuliebe mit.«
    »Dann musst du dir eben auch irgend so einen Arthur suchen. Oder Alfred.«
    »Weißt du was, Harry, du kannst mich mal. Du bist der langweiligste und nervigste Mann, den ich kenne.«
    »Und das nach vierzig Jahren, was für ein Irrtum, dein ganzes Leben.«
    »Ja, manchmal denke ich das auch.«

16 HARRY

    Mir graust. Aber jetzt ist es beschlossen und ich hab es Lore versprochen, wir fahren zur Hochzeit nach Leipzig. Ede sagt, Mann, das ist doch Klasse, schau dir das an, wann hat man schon mal die Gelegenheit, so einen Wahnsinn hautnah mitzuerleben! Ede beneidet mich sogar. Er würde liebend gern mitfahren. Fahr doch du mit Lore, hab ich gesagt. War natürlich ein Scherz. Gestern kam eine Mail von

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