Alte Liebe: Roman
meiner Enkelin. Mein Gott, diese Kinder heutzutage!
›Hallo Opa! Heute in zehn Tagen werde ich elf Jahre alt. Ich maile dir meine Wunschliste, damit du dir nicht den Kopf zerbrechen musst wegen deinem Geschenk für mich. Weihnachten habe ich von Frank eine Nintendo DS-Lite-Konsole bekommen. Ich hab bis jetzt fünfzehn DS-Spiele. Nun wünsche ich mir folgende Spiele: 1. Harvest Moon 2. Pokerman Ranger – Finsternis über Almia 3. Spectrobes – Jenseits der Portale 4. Spiderman – the movie 2 (the movie 1 hab ich schon) 5. Rayman Raving Rabbits 6. Dungeon Maker 7. Boulde-Dash-Rocks 8. Speed Racer. Mein Freund Kevin hat die Spiele schon. Sie sind total cool. Ein Spiel kostet im Internet ungefähr 40 Euro. Wenn du mir die 8 Spiele schenkst, kostet dich das 320 Euro. Frank kann sie bei einem Kollegen für 250 Euro kriegen. Du sparst also 70 Euro. Mama sagt auch, dass es das beste ist, wenn du mir das Geld schickst. Dann hast du keine Arbeit damit. Es grüßt dich deine Laura.‹
Erst war ich platt, hatte so eine Wut. Dann hab ich mir gesagt, was kann dieses arme Kind dafür, wenn die Mutter, die gerade einen Geldsack heiratet, dem Kind den Rat gibt: Opa soll das Geld schicken. Zweihundertfünfzig Euro, mal eben so, für eine Elfjährige. Spinnt die Frau? Klar spinnt sie, das wissen wir doch. Aber was tun? Das Kind belehren? Hilft das? Wütend Gloria schreiben, was ihr einfällt? Da ist Hopfen und Malz verloren. Wenn ich mit Lore darüber rede, weiß ich, was kommt. Wir schicken ihr ein gutes Buch, sagt sie dann, obwohl sie selbst ahnt, dass dieses Buch nicht gelesen wird. Letztes Jahr hat sie Laura ›Dr. Dolittle‹ geschenkt. Als das Kind einen Monat später für eine Woche in den Ferien bei uns war, wusste es nichts von diesem Buch. Diese Kinder lesen nicht mehr.
O Gott, das steht uns ja auch wieder bevor! Bald sind Ferien. Wie jedes Jahr wird Laura für eine Woche bei uns sein. Danach könnten wir jedes Mal eine Woche Erholung brauchen. Und an mir hängt fast alles, weil Lore ja in der Zeit arbeitet. Ich finde, sie sollte diesmal Urlaub nehmen, damit die Entnervungen gerecht verteilt werden.
Heute eine interessante Meldung im Wirtschaftsteil der Zeitung. Die Immobilien-Investment und Bauträgerfirma Bredow-Bau-Hamburg meldet Insolvenz an. Professor Dr. h. c. Maximilian Bredow, 78, der Chef und Vorstandsvorsitzende, geht davon aus, dass mindestens vierhundert Arbeitsplätze abgebaut werden müssen. Die Firma hat zur Zeit zwölfhundert Beschäftigte und will staatliche Hilfe beantragen.
Ob es wohl trotzdem fürs Nerzjäckchen und Peter Maffay reicht?
*
»Gehst du noch weg?«
»Ja, Christa hat doch Geburtstag, Feier in der Weinstube, Lust habe ich keine. Willst du mitkommen?«
»O Gott, nein!«
»Schon gut. Die Frage war rein theoretisch. Stell dir vor, Harry, die Firma Bredow – also Franks Vater – hat Insolvenz angemeldet.«
»Woher weißt du das?«
»Heidi hat’s in der Zeitung gelesen.«
»Ich auch.«
»Wie?«
»Ich hab’s gestern in der Zeitung gelesen.«
»Und hast es mir nicht gesagt.«
»Ich – ich wollte –«
»Mich schonen?«
»Ja – nein, ich –«
»Ach, bin ich die Bekloppte, die man schonen muss?«
»Ich hätte es dir schon noch erzählt. War doch keine Gelegenheit.«
»Ich hab Gloria darauf angesprochen.«
»Und?«
»Es ist nicht so schlimm, sagt sie.«
»Was heißt das?«
»Es wird in der Presse übertrieben.«
»Sie nagen also nicht am Hungertuch?«
»Gloria sagt – also Frank sagt, dass genug Privatkapital da ist, und –«
»Wo? In Liechtenstein?«
»– und dass man sich keine Sorgen machen muss.«
»Oder auf den Fidschi-Inseln?«
»Warum denkst du immer das Schlechteste über solche Leute?«
»Weil ich täglich Zeitung lese.«
»Es müssen nur ein paar Leute entlassen werden, sagt Gloria.«
»Vierhundert von zwölfhundert – steht in der Zeitung.«
»Ehrlich?«
»Ja. Und: die Firma bittet um staatliche Hilfe.«
»Das machen sie doch jetzt alle. Und wenn die Banken und die Autofirmen und alle Steuergelder bekommen, warum dann nicht auch die?«
»Lore, warum soll mit unseren Steuergeldern das Geschäftsgebaren eines Herrn Bredow senior finanziert werden, wenn der Junior Bredow sagt, dass genügend Privatkapital da ist?«
»Na ja, wegen der Arbeitsplätze.«
»Das sind doch angeblich nur ein paar.«
»Wer weiß, was man Gloria erzählt, um sie zu beruhigen.«
»Lore, erstens sind für diese Leute vierhundert Arbeitslose nur ein paar
Weitere Kostenlose Bücher