Alte Liebe: Roman
aber ich sehe ja in der Bibliothek, wie sehr gerade das ausgeliehen wird. Die Leute brauchen Träume, Kunstwelten, die halten die Realität mit all den Krisen und Ängsten nicht aus. Viele Romane handeln auch von dieser Realität, vom Armwerden, vom Altwerden, die will dann keiner lesen, die liegen uns wie Blei in den Regalen. Aber Eckart von Hirschhausen, das lesen sie.
Mir macht mein Beruf keinen Spaß mehr. Die Bücher sind nicht mehr, was sie mal waren. Harry sagt, die Bücher sind sowieso bald ganz verschwunden. Na bravo. Verblöden wir eben noch mehr. Wer liest denn im Internet oder am E-Book?
Ich glaube, ich werde alt. Ich will diesen Kram nicht. Früher wollten unsere Eltern keine Plattenspieler in unserm Zimmer, jetzt will ich kein Internet. Die Zeit geht aber weiter, aufhalten lässt es sich nicht.
Ich möchte ein ganz anderes Leben. Noch mal neu. Klüger angepackt. Studieren, reisen, nicht so schnell heiraten, lieber kein Kind. Ich hab das Gefühl, ich sitz auf einem Berg von Trümmern und rutsche ganz langsam ab, bis der Schutt mich begräbt. Ich muss mich zusammennehmen. Das geht so nicht weiter.
*
»Harry, Heidi lässt fragen, ob sie sich deinen Hochdruckstrahler mal ausleihen kann.«
»Wofür das denn?«
»Sie hat gesehen, wie schön unsere Gartenmöbel wieder aussehen, das will sie auch machen.«
»Muss ich ihr ja wohl machen. Die kann doch damit bestimmt gar nicht umgehen!«
»Was soll das denn wieder heißen, Frauen sind zu blöd, einen simplen Hochdruckstrahler zu bedienen? Ich werd ja wohl nicht mehr.«
»Ach hör doch auf, Lore, ich kenn das doch, ist doch immer dasselbe, Heidi kauft sich ein Regal zum Zusammenbauen, und dann passt irgendwas nicht und, wer muss hin? Immer ich. Und mit dem Hochdruckstrahler wird es dasselbe sein, dann weiß sie nicht, wo man das Wasser reintut oder wie man die Stärke einstellt, und dann bin ich wieder dran. Ich hab dazu aber keine Lust.«
»Vielen Dank für deine überwältigende Freundlichkeit.«
»Ist doch so. Haben wir noch Bier?«
»Wenn du noch nicht alles weggesoffen hast, haben wir noch Bier.«
»Herrgottnochmal, spar dir doch deine ewigen schnippischen Bemerkungen.«
»Dann frag mich nicht. Ich trink doch kein Bier, du trinkst das Bier, da wirst du doch wohl wissen, ob noch was da ist.«
»Musst du nicht in deine Bibliothek? Kannst du deine Laune nicht da austoben?«
»Ich gehe gleich. Ich mache heute nur den halben Tag, aber sei beruhigt, gleich bin ich weg.«
»Ich fahr dich hin, ich brauch den Wagen. Ich will noch mal zu dieser Gärtnerei in Wuppertal.«
»Wieso das denn, hier gibt es doch genug Gärtnereien.«
»Die haben die besten Stauden.«
»Du immer mit deinen Stauden, die machen so viel Arbeit, blühen nur kurz, sind durch wer weiß was alles gefährdet, Regen, Wind, Schnecken, und du kriechst da rum wie ein Waldschrat und arbeitest dich ab für nix. Mach doch Büsche.«
»Büsche.«
»Büsche, Rhododendron, Jasmin, so was.«
»Lore, lass mich einfach den Garten machen und mach du deine Bücher, okay?«
»Mach doch, was du willst, aber jammer nicht immer, dass dir der Rücken weh tut.«
»Erstens jammer ich nicht immer, und zweitens ist es ja wohl normal, dass einem mit Mitte sechzig der Rücken bei der Gartenarbeit weh tut. Du klagst ja auch, dass du beim Lesen immer dickere Brillen brauchst.«
»Das ist doch was anderes.«
»Ja klar, das ist immer was anderes. Also, wann musst du los?«
»Jetzt gleich.«
»Gut, wir können.«
»Du willst doch nicht in diesen Klamotten fahren?«
»Wieso das denn nun nicht?«
»Diese Schlabberhosen, diese Gummischuhe und dieses verdreckte Hemd?«
»Lore, ich geh ja nicht in die Oper, ich fahr in eine Gärtnerei, in eine Baumschule und such mir Pflanzen aus.«
»Und wenn dich jemand so sieht, an der Bibliothek?«
»Ich setz dich gern eine Ecke früher ab.«
»Und wenn dir was passiert, ein Unfall, dann …«
»Glaubst du wirklich, wenn mir was passiert, guckt jemand darauf, was ich anhabe?«
»Mir wäre es peinlich.«
»Du siehst ja tipptopp aus.«
»Nein, mir wäre es peinlich, dich im Krankenhaus zu besuchen, wenn du da …«
»Ach, das wäre dir peinlich, anstatt dass du froh wärst, wenn ich überhaupt noch lebe?«
»Es hat keinen Sinn mit dir. Fahren wir. Bist du am Abend zurück?«
»Falls ich nicht im Krankenhaus lande, ja.«
22 HARRY
So ist das immer mit Lore. Da wird wer weiß wie über alles gelästert, wenn andere es aber interessant finden, dann bläht
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