Alte Liebe: Roman
mit.«
»Wirst du eine deiner berühmten Reden halten?«
»Muss ich wohl, wer sonst. Aber es ist deine Mutter, willst du nicht?«
»Nein, bloß nicht. Ich weine dann bloß.«
»Wenn diese Beerdigung vorbei ist, tu ich das, was ich seit Jahren schon tun wollte.«
»Und das wäre?«
»Ich hole weit aus und hau deinem Bruder Theo so richtig eins in die Fresse.«
»Das wirst du nicht tun.«
»Da sei dir mal nicht so sicher.«
»Es wird ein friedliches Essen geben hinterher, und dann sehen wir ihn nie wieder.«
»Vorher eins in die Fresse.«
»Er ist Glorias Patenonkel.«
»Gloria ist Ende dreißig, die braucht keinen Patenonkel mehr, aber der braucht mal eine Lektion. Ich freu mich direkt drauf.«
»Was hätte Mutter dazu gesagt, auf ihrer Beerdigung.«
»Sie hätte gesagt, gut so, Harry, das hätte schon längst geschehen müssen.«
»Sie fehlt mir.«
»Sie fehlt dir? Sie war seit acht Jahren nicht mehr da.«
»Jetzt ist es für immer. Ein Loch. In unserm Leben, in meinem Herzen. Die blauen Augen sind zu, bisher hat sie mich aus weiter Ferne doch noch angeschaut. Ich bin traurig, Harry.«
»Komm mal her zu mir. So. Wir beide, wir trinken jetzt am hellen Tag eine schöne Flasche Champagner zusammen, zum Beruhigen, zum Erinnern, auf Leni. Wir hören Musik dazu, komm, leg was auf, und dann kippen wir uns einen, das würde Leni gefallen.«
»O ja, das machen wir, aber weißt du was, Harry?«
»Na?«
» ALDI -Champagner, unbedingt ALDI -Champagner. Nur den hat sie geliebt.«
» ALDI -Champagner auf Leni. Und spiel was von Verdi. Der war doch ihr ein und alles. Ich hol die Flasche, du legst Musik auf.«
»Rigoletto, holder Name, dessen Klang tief mir in die Seele drang. Gilda.«
»Sie war bei aller Schroffheit romantisch.«
»Ja, tief drin. Versteckt. Mein Vater hat sie so verletzt. So betrogen. Das hat sie bitter und hart gemacht. Auch Theo gegenüber. Er war ihm zu ähnlich.«
»Weißt du noch, fünfzehn Jahre nach der Scheidung, auf seiner Beerdigung, da kam ein Strauß mit hundert roten Rosen, ohne Namen. Niemand wusste und weiß bis heute, von wem. Das war von ihr, ich wette. Sie hat ihn immer geliebt.«
»Hast du damals schon vermutet. Ich kann’s nicht glauben. Mutter und Liebe und rote Rosen … Und sie war doch auch so – sparsam – nein: geizig. Aber vielleicht hast du recht.«
»Ich hab recht. Wir legen ihr auch hundert rote Rosen aufs Grab. Was denkst du, keinen Kranz, hundert rote Rosen.«
»Nein, weiße. Hundert weiße. Es ist ja keine Liebesgeschichte.«
»Ich hab sie geliebt, deine störrische Mutter.«
»Ich sie auch. Aber ich habe es ihr in unserm ganzen Leben kein einziges Mal gesagt.«
»Sag’s ihr jetzt, sie hört es. Ich hol den Schampus.«
20 HARRY
Familie senkt selbst ab, hat der uniformierte Angestellte des Bestattungsinstitutes gesagt, als ich bat, selbst die Urne in das Erdloch hinunterlassen zu dürfen. Wir mussten lachen, Lore, Ede, Heidi und ich. Rita, Theo und eine Krankenschwester, die sich die letzten Jahre rührend um meine Schwiegermutter gekümmert hat, straften uns mit bösen Blicken. Gloria und Laura standen so unbeteiligt da, als würden sie gar nicht zu uns gehören. Die Kleine wusste ja nichts von ihrer Urgroßmutter, hat sie kaum je lebend gesehen. Ob Gloria jemals im Krankenhaus war? Ja, ein- bis zweimal, höchstens. Wir waren eine kleine Runde am Grab. Wie Leni es wollte. Ich hatte lange darüber nachgedacht, was ich für eine Rede halten sollte. Ich hielt sie für Lore, ausschließlich für sie. Leni ist ja für uns beide schon vor Jahren gestorben. Lore hatte viel Zeit, Abschied zu nehmen, dort am Bett sitzend, verzweifelt sehr oft, ich weiß. Was sollte ich sagen? Ich hatte keine Ahnung, hab auch nichts vorbereitet. Als ich Theo und Rita verheult und schluchzend da stehen sah, kriegte ich Wut. Die haben eine verlogene Rolle gespielt, um die noch lebende Leni hatten sie sich nie gekümmert. Und jetzt standen sie da und taten so, als hätten sie den ihnen allernächsten Menschen verloren. Was ihr jetzt wollt, dachte ich mir, das bekommt ihr nicht. Ich gebe hier nicht einen der Pfaffen, gegen die Leni ihr Leben lang geredet hatte. Nein, ich hielt eine lustige Rede. Ich erzählte Leni-Anekdoten und packte ihre fertigen Sätze hinein: Ich bin ein Mensch von einem Tag; heute noch auf stolzen Rossen, morgen durch die Brust geschossen; und so weiter. Ich erzählte von Lenis Reise in einem Bus – ›mit dem Klobus um den Globus‹, wie sie sagte –
Weitere Kostenlose Bücher