Alte Liebe: Roman
drücken. Er hat es bestimmt nicht geglaubt. Er sah selbst unglücklich aus. Er hat zu viel Bier getrunken, auch hinterher, Bier zum Kuchen statt Kaffee. Hoffentlich wird ihm nicht schlecht, er sitzt noch unten an der Bar. Wie spät ist es? Halb elf. Morgen ist die kirchliche Trauung. Halb elf. Ich kann doch jetzt nicht schlafen, um halb elf, nach diesem entsetzlichen Tag. Ich geh auch runter. Ich geh an die Bar, zu Harry. Aber ich lass mich auf keine Diskussion ein. Ich hab jetzt dafür keine Kraft mehr. Bloß keine Diskussion. Ich will nur noch einen Schluck Rotwein trinken, damit ich schlafen kann, sonst nichts.
*
»Na, Harry, das wievielte Bier ist das?«
»Nanu, Lore, ich denke, du wolltest schlafen?«
»Ich brauch noch was zu trinken.«
»Kann ich gut verstehen.«
»Keine Kommentare, bitte.«
»Ich habe nur gesagt: das kann ich gut verstehen.«
»Mit Unterton.«
»Was, Unterton?«
»Du hast es mit Unterton gesagt.«
»Lore, komm, lass es. Das müssen wir jetzt nicht haben. Einen Rotwein bitte. Du willst doch Rotwein?«
»Ja.«
»Haben Sie einen kalifornischen? Dann den. Und so Nüsschen, bitte.«
»Ich will keine Nüsschen.«
»Ich will aber Nüsschen, und du willst auch Nüsschen. Du willst immer Nüsschen.«
»Heute nicht. Kannst du alleine essen.«
»Gut, ess ich sie eben alleine. Ich freu mich, dass du mir noch Gesellschaft leistest.«
»Ich kann jetzt nicht schlafen.«
»Versteh ich. In diesen Hotels schläft man sowieso immer schlecht.«
»Aber es ist ein schönes Hotel, findest du nicht? Wirklich Luxus. Und dass sie uns eine Suite gemietet haben … wir haben drei Telefone, hast du gesehen?«
»Nee.«
»Doch, am Bett, auf dem Schreibtisch und direkt neben dem Klo, stell dir vor.«
»Drei Telefone, und kein Interesse, irgendjemanden anzurufen.«
»Doch, unser Kind.«
»Kind ist gut.«
»Ach, Harry.«
»Sag nix, Lore. Sag einfach nix. Da, dein Wein – komm, trinken wir: Prost. Auf uns.«
»Auf dass sie glücklich wird.«
»Sie ist glücklich.«
»Das sieht man aber nicht.«
»Was sieht man schon. Man kann doch nie reinsehen in einen Menschen, nicht mal in die eigene Tochter, nicht mal in dich.«
»Was? Du kannst sehr genau in mich reinsehen nach all den Jahren, und ich in dich auch. Prost.«
»Was siehst du denn, wenn du jetzt in mich reinsiehst, Lore?«
»Dieselbe Ratlosigkeit wie du bei mir.«
»Da ist was dran. Aber ich bin nicht so bedrückt darüber wie du, nicht so traurig. Lass sie doch. Lass los, Lore. Es ist ihr Leben.«
»Eine Mutter …«
»Ja, komm, hör auf mit dem Scheiß, eine Mutter, eine Mutter. Du warst eine gute Mutter, du hast das alles prima gemacht, sie ist ihren eigenen Weg gegangen, fertig, aus, und auf dem Weg ist sie jetzt. Kann ich noch ein Weizen haben? Aber tun Sie die Hefe bitte richtig mit ins Glas. Danke.«
»Ja. Ich will auch gar nicht darüber reden. Ich will einfach nur so mit dir hier noch eine halbe Stunde sitzen.«
»Wir waren lange nicht mehr in einer Bar, was?«
»Was sind das alles für Leute, Vertreter und so? Kaum Frauen, doch, zwei. Sehen aber auch aus wie Männer. Businessanzüge.«
»Vielleicht heiratet bei denen auch jemand.«
»Sieht nicht so aus. Ich frag mich auch immer, wieso die Hotels überleben, solche Riesenkästen, die sind doch nie ganz voll.«
»Da, Nüsschen. Ach, du wolltest ja nicht.«
»Nein. Ich hab genug von diesem Essen da. Alles mariniert und püriert und von und an, vom Angusrind an Kresseschaum, was soll denn das.«
»Haute cuisine.«
»Drauf gepfiffen.«
»Zieh doch die Schuhe aus. Sieht doch keiner.«
»Warum das denn?«
»Ich denk, die drücken so?«
»Die drücken doch nicht, die … ach so.«
»Aha. Dachte ich mir.«
»Denk jetzt einfach nicht mehr, Harry.«
»Jetzt isst du ja doch Nüsschen.«
»Ja, mein Gott, wenn sie hier schon mal stehen. Man wird ja auch nicht mal satt von so einem Affenessen.«
»Mir wär ein ordentliches Schnitzel mit Bratkartoffeln auch lieber gewesen.«
»Das muss irrsinnig viel gekostet haben.«
»Geld ist ja da. Noch.«
»Mal bloß den Teufel nicht an die Wand. Wenn da nicht mal mehr Geld wäre, was denn dann? Das kann doch wohl nicht der Mann ihres Lebens sein, dieser stumme Stoffel, der ihr nicht mal die Autotür aufhält.«
»Halt ich dir die Autotür auf?«
»Immer. Hast du immer gemacht.«
»Prost, meine Lore.«
»Prost, mein Harry.«
30 HARRY
Ich war ja froh, dass ich keine Rede halten musste. Was hätte ich diesen Leuten zu sagen
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