Alte Liebe: Roman

das dort keinen mehr.‹«
    »Ist der dumm?«
    »Nein, Lore, diese Leute sind nicht dumm. Die sind sogar umfassend gebildet. Frank ist zum Beispiel Salem-Schüler. Aber sie sind eben erzreaktionär.«
    »Und sie haben keine Manieren. Hast du gesehen, wie Frank isst? Wie ein Ferkel.«
    »Wer das Geld hat, hat die Macht, und wer die Macht hat, kann auf die Manieren verzichten.«
    »Ja, das ist wohl so.«
    »Singt jetzt eigentlich dieser Peter Maffay?«
    »Ach was, der war wohl doch zu teuer.«
    »Na ja, es sind harte Zeiten, da muss man sparen, um nicht irgendwann zu hungern.«
    »Und Hunger tut so weh, sagte Leni immer.«
    »Ja.«
    »Sie haben einen ehemaligen Schlagersänger aus der ehemaligen DDR engagiert. Er soll seinerzeit ganz bekannt gewesen sein. Ich kannte den Namen nicht.«
    »Wie heißt er denn?«
    »Schon vergessen.«
    »John Ferguson, komischer Name. Jedenfalls aber ein Beitrag der westdeutschen Kolonialherren zur Integration eines Ostlers.«
    »Zieht dich das nicht alles runter, Harry?«
    »Nein, Lore. Standhaft, wir ziehen das alles durch. Ich versuche jetzt mal, ein Bier zu bekommen, und dann krall ich mir mal unseren Herrn Schwiegersohn. Mal testen, ob der was Vernünftiges in der Birne hat, oder ob der nur ein Klon seines Alten ist.«
    »Aber mach bitte keinen Ärger – Gloria zuliebe. Versprochen?«
    »Versprochen.«
    »Ich kümmere mich mal um Gloria.«
    »Tu das.«
    »Die macht mir einen angestrengten Eindruck. Da muss Mutter wohl ein bisschen gut zureden.«
    »Sag mal, hast du Laura mal gesehen?«
    »Ja, die singt mit Freundinnen auf ihrem Zimmer Karaoke. Die kann das richtig gut – sie scheint da eine Begabung zu haben.«
    »Also, gehen wir rein. Ins Gewühl. Auf in den Kampf!«
    »Du bist so gut drauf, Harry. Ich glaube fast, dir gefällt es hier.«
    »So weit, meine Liebe, kommt es nicht.«
    »Na gut.«
    »Übrigens, Lore, die Hochzeitsreise geht nach Namibia.«
    »Ist nicht wahr!«
    »Doch. Heia Safari!«

33 LORE

    Wenn mich jetzt einer fragen würde: das ist der perfekte Augenblick. ›Wenn das Herz denken könnte, würde es stillstehen.‹ Ich glaube, Pessoa. Das ist von Pessoa, oder? Das Herz kann denken. Es steht still, jetzt gerade. Das Herz, die Zeit, der Atem, die Gedanken, alles. Wie schön das war. Ausgerechnet auf dieser entsetzlichen Reise, auf dieser krank machenden Hochzeit erlebe ich einen perfekten Augenblick. Ich wünschte, ich könnte ihn anhalten. Kann man nicht. Aber das nimmt dem Augenblick nichts von seiner Kostbarkeit.
    Ich bin glücklich.
    Das habe ich schon lange nicht mehr gedacht, schon lange nicht mehr gesagt.
    Ich. Bin. Glücklich. Jetzt.
    Und dabei war es erst so furchtbar. Diese Kapelle, diese Musik, ich stand da völlig verloren rum und sah zu, wie dicke Männer ohne Jackett mit rausgeputzten Frauen ohne Lust tanzten, und plötzlich kommt mein Harry auf mich zu, sieht mich an, stellt sein Bier weg, packt mich und legt einen Tanz mit mir hin, dass alle Platz machen. Er hat der Kapelle irgendwas zugerufen, es wurde schneller, eine Musik von früher, ich weiß nicht mehr, was es war, aber darauf haben wir mal getanzt, damals. Und wie wir getanzt haben – ich dachte, ich fall um, mir blieb die Puste weg, aber Harry, wie ein junger Gott, zack, er hat mich rumgewirbelt und mich festgehalten, und am Ende haben alle geklatscht und er hat mich weggezogen und mir zugeflüstert: Das war’s. Lore, wir gehen. SOFORT . Und dann sind wir raus aus dem Zimmer, alle dachten, wir wollten uns erfrischen, aber nichts da, Harry hat dem Chauffeur gewunken und wir sind sofort ins Hotel gefahren und. Ja. Und. Wie lange ist es her, das letzte Mal? Zwei Jahre, drei? Keine Ahnung. Ganz lange, wenn ich bedenke, wie schön es war. Wir haben miteinander geschlafen wie früher, als noch Lust und Leidenschaft da waren, als wir noch nicht alt und müde waren, wie frisch verliebt. Ja, wie frisch verliebt. Und nichts da, bei alten Leuten – alte Leute! Sind wir alte Leute? Ältere Leute, sagen wir: ältere Leute, bei älteren Leuten würde alles langsamer gehen, lange dauern. Nix da. Alles so, wie es sein muss. Perfekt. Und auch danach – tiefer, glücklicher Liebesschlaf, eng umschlungen, eine Stunde, zwei, das Telefon klingelte dauernd, vielleicht Gloria, es war mir ehrlich gesagt egal. Und jetzt lässt Harry gerade diese todschicke Badewanne einlaufen und wir baden. Eine Flasche Champagner hat er schon bestellt, ich fühle mich wie auf meiner Hochzeit, dabei ist es Glorias Hochzeit. Und