Alte Liebe: Roman
mein erster Gedanke – ein gemeinsames Ende.
Ich hatte zu Christa gesagt, ich komme sofort. Nun stand ich da, das Telefon noch in der Hand, vor der Verandatür und schaute in den Garten hinaus. Wir hatten ihn in den letzten Tagen auf den Winter vorbereitet. Es war Dir ganz wichtig, dass wir das zusammen machten, denn es sollte jetzt unser Garten sein. Seit wir uns in Leipzig und in den Wochen danach so sehr wiedergefunden hatten, wollten wir das, was Du einmal den Rest des Lebens genannt hast, gemeinsam verbringen. Harry, wer weiß, wie viel Zeit wir noch miteinander haben, lass sie uns genießen, hast du gesagt.
Wir machten Pläne, wollten reisen. Den Winter wollten wir irgendwo im Süden verbringen. Auf dem Couchtisch lagen noch die Prospekte, die Du mitgebracht hattest. Gran Canaria, Teneriffa, alle die Inseln, die Karibik. Wir hatten uns noch nicht entschieden. Du hattest in der Bibliothek gekündigt. Wir spielten schon Rentner, sahen uns an langen Stränden schlendern, in schönen Hotels wohnen, das Leben genießen. Wir waren wie junge Verliebte, denn wir hatten uns wiedergefunden.
Ich stand da, starrte in unseren Garten hinaus, wo das fast zahme Rotkehlchen nach den letzten Körnern aus den Stauden pickte. Harry, sagte ich mir, wie willst du, wie kannst du alleine weiterleben? Wie soll das gehen, wie wird das sein? Mach Schluss, sagte ich mir, folge ihr, das Leben hat doch so keinen Sinn mehr. Ich schaute mich im Wohnzimmer um. Überall warst Du. Alles hatte seine Bedeutung nur durch Dich, durch uns. Auf dem Tisch standen noch die Sektgläser von gestern Abend. Wir waren sehr lustig, beschäftigt mit unseren kühnsten Zukunftsplänen. Wir hatten den ganzen Abend englisch miteinander gesprochen, denn Weihnachten wollten wir in New York sein. Du hast Härri zu mir gesagt, ich zu Dir Louri. Wir waren schön und leicht betrunken. Vorbei.
Ich ging ins Bad hinauf. Irgendwo musste es Schlaftabletten geben. Ich fand keine. Im Spiegel sah ich einen traurigen, uralten Mann. Dann saß ich auf dem Bett, in dem wir uns in den letzten Wochen so wunderbar wiederentdeckt hatten. Ich weinte. Wieder klingelte das Telefon. Ich ging nicht dran. Du konntest es ja nicht sein.
Dann fuhr ich zur Bibliothek. Unterwegs musste ich an Theo denken. Jetzt auf die Autobahn fahren, Gas geben, an den Brückenpfeiler rasen. Ich wusste, ich kann das nicht.
Das Begräbnis war schrecklich.
Gloria, die angereist war, um mich bei den Formalitäten zu unterstützen, hatte, wie es jetzt ihre Art ist, für viel zu viel Brimborium gesorgt. Es ging nicht mehr um Dich, es war eine Inszenierung. Ein Prunksarg war für die Leichenfeier gekauft worden, der angeblich später verbrannt werden würde, was ich ohnehin nicht glaube. Kränze über Kränze, Blumengebinde, Schleifen mit Namen, die ich nicht kannte, Menschen, die ich noch nie gesehen hatte. Ein junger Pianist spielte Schubert. Spielen Sie was von Schumann, hatte Gloria zu ihm gesagt, meine Mutter hat Schumann über alles geliebt. Das konnte ich noch korrigieren. Spielen Sie Schubert, sagte ich, den hat sie geliebt.
Ein Pastor – ja ein Pastor, obwohl Du doch gar nicht in der Kirche warst –, ein Pastor redete belangloses Zeug und holte Dich sozusagen posthum in den Schoß seiner Kirche zurück. Wer weiß, was Gloria dem über Dich erzählt hatte. Rita, im Trauern geübt, weinte laut nach Art der Klageweiber. Es war peinlich. Laura und Frank waren nicht gekommen. Das Kind musste, hieß es, geschont werden. Es waren zu viele Begräbnisse in letzter Zeit, sagte sie. Frank hatte eine wahnsinnig wichtige Geschäftsreise nach Tokio leider nicht mehr verschieben können.
Zum Essen lud Gloria in die bürgerlich-biederen Ratsstuben ein, die wir immer gemieden hatten. Wieder waren da Menschen, die ich nicht kannte, Schulfreundinnen von Gloria, deren Männer und Kinder sprachen mir ihr Beileid aus oder redeten tröstend und ermutigend auf mich ein. Ich war wie in Trance. Immer wieder hörte ich durch meine Mauer von Abwehr den Satz: ›Das Leben geht weiter‹. Ja, sagte ich, danke, ich danke euch allen, aber jetzt will ich einfach gehen.
Doch das ließ Gloria nicht zu. Ede, der mir in den letzten Tagen die einzige Stütze war, betrank sich, machte auf Walter Matthau und sagte, er ziehe jetzt zu mir, wir gründeten eine Männer-WG und seien dann am Ende ›das verrückte Paar‹. Rita lachte so grell, wie sie am Grab geheult hatte.
Gloria ließ es sich nicht nehmen, mich nach Hause zu bringen und
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