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Alte Meister: Komödie (German Edition)

Alte Meister: Komödie (German Edition)

Titel: Alte Meister: Komödie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Fugenversuche Schumanns zu sagen hatte, aber ich war mit meinen Gedanken doch ganz woanders gewesen. Ich sah Reger auf der Sitzbank sitzen und den Weißbärtigen Mann dahinter und sah den Reger, der mir wieder einmal, mit noch viel größerer Liebe dazu wie bisher, die Fugenkunstaufzuklären versuchte, und hörte, was Reger sagte und sah doch in meine Kindheit hinein und hörte die Stimmen meiner Kindheit, die Stimmen meiner Geschwister, die Stimme meiner Mutter, die Stimmen meiner Großeltern auf dem Land. Ich bin als Kind auf dem Land recht glücklich gewesen, aber glücklicher war ich doch immer wieder in der Stadt, wie ich auch später und jetzt viel glücklicher in der Stadt bin, als auf dem Land. Wie ich ja immer viel glücklicher in der Kunst, als in der Natur gewesen bin, die Natur ist mir zeitlebens unheimlich gewesen, in der Kunst habe ich mich immer geborgen gefühlt. Schon in der Kindheit, die ich vornehmlich in der Obhut meiner Großeltern mütterlicherseits verbringen durfte und in welcher ich, alles in allem genommen, doch tatsächlich glücklich gewesen bin, war ich doch da immer geborgen und in der sogenannten Kunstwelt gut aufgehoben gewesen, nicht in der Natur, die ich zwar immer bestaunt, aber genauso immer gefürchtet habe, was sich bis heute nicht geändert hat, ich bin nicht einen einzigen Augenblick in der Natur zu Hause, aber immer in der Welt der Kunst, am geborgensten in der Welt der Musik. So weit ich zurückdenken kann, habe ich nichts mehr geliebt auf der Welt, als die Musik, dachte ich, durch Reger durch, aus dem Museum hinaus- und in meine Kindheit hineinschauend. Diese Durchblicke in die längst vergangene Kindheit liebe ich immer und ich gebe mich ganz und gar hin und ich nutze sie aus, wie ich nur kann, möge dieser Blick in die Kindheit nie aufhören, denke ich immer. Was hat Reger für eine Kindheit gehabt?, dachte ich, ich weiß nicht viel darüber, die Kindheit betreffend, ist Reger nicht gesprächig. Und Irrsigler? Er redet nicht gern davon und er blickt auch nicht gern auf sie zurück. Gegen Mittag kommen immer mehr Leute in Gruppen in das Museum, in letzter Zeit außerordentlich viele aus den osteuropäischen Ländern, mehrere Tage hintereinander habe ich Gruppen aus Georgien gesehen, die von russisch sprechenden Führern durch die Galerie getrieben worden sind, getrieben ist dasrichtige Wort, denn diese Gruppen gehen nicht durch das Museum, sie laufen durch, gehetzt, im Grunde völlig uninteressiert, vollkommen ermüdet von allen Eindrücken, die sie auf ihrer Reise nach Wien schon haben über sich ergehen lassen müssen. Einen Mann aus Tiflis habe ich in der Vorwoche beobachtet, wie er sich aus einer der kaukasischen Gruppen gelöst und allein seinen Museumsweg hatte gehen wollen, ein Maler, wie sich herausstellte, der mich nach Gainsborough gefragt hat; bereitwillig habe ich ihm sagen können, wo er Gainsborough findet. Schließlich war seine Gruppe schon wieder aus dem Museum hinausgegangen, als er auf mich zugegangen war, um mich nach dem Hotel Wandl zu fragen, in welchem seine Gruppe untergebracht war. Eine halbe Stunde habe er vor der Gegend von Suffolk verbracht, ohne auch nur einen Augenblick an seine Gruppe zu denken, er sei das erste Mal in Mitteleuropa und er habe zum ersten Mal ein Gainsborough-Original gesehen. Dieser Gainsborough sei der Höhepunkt seiner Reise, sagte er, merkwürdig gut in deutsch, bevor er sich umdrehte und aus dem Museum hinausging. Ich hatte ihm bei der Suche nach dem Hotel Wandl behilflich sein wollen, aber er hatte abgelehnt. Ein junger, etwa dreißigjähriger Maler reist mit einer Gruppe von Tiflis nach Wien und schaut sich die Gegend von Suffolk an und sagt, die Betrachtung der Gegend von Suffolk von Gainsborough sei der Höhepunkt seiner Reise. Die Tatsache hat mich den ganzen darauffolgenden Nachmittag bis in den Abend hinein nachdenklich gemacht. Wie malt der Mann in Tiflis?, hatte ich mich die ganze Zeit gefragt und diesen Gedanken schließlich seiner Unsinnigkeit wegen aufgegeben. In letzter Zeit besuchen mehr Italiener als Franzosen, mehr Engländer als Amerikaner das Kunsthistorische Museum. Die Italiener mit ihrem angeborenen Kunstverstand treten immer auf, als wären sie die von Geburt an Eingeweihten. Die Franzosen gehen eher gelangweilt durch das Museum, die Engländer tun so, als wüßten und kennten sie alles. Die Russen sindvoll Bewunderung. Die Polen betrachten alles mit Hochmut. Die Deutschen schauen im Kunsthistorischen

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