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Alte Meister: Komödie (German Edition)

Alte Meister: Komödie (German Edition)

Titel: Alte Meister: Komödie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Jeden Tag, wenn wir aufwachen, wird uns vor diesem unserem Staat übel und wenn wir auf die Straße gehen, wird uns vor den Staatsmenschen übel, die diesen Staat bevölkern. Die Menschheit ist ein gigantischer Staat, vor welchem uns, wenn wir ehrlich sind, wenn wir aufwachen, jedesmal übel wird. Wie alle Menschen, lebe ich in einem Staat, vor welchem mir übel wird, wenn ich aufwache. Die Lehrer, die wir haben, lehren den Menschen den Staat und lehren sie alle Fürchterlichkeiten und Grauenhaftigkeiten des Staates, alle Verlogenheiten des Staates, nur nicht, daß der Staat alle diese Fürchterlichkeiten und Grauenhaftigkeiten und Verlogenheiten ist . Die Lehrer nehmen seit Jahrhunderten ihre Schüler in die Staatszange und martern sie jahre- und jahrzehntelang und zerquetschen sie. Da gehen diese Lehrer im Staatsauftrag mit ihren Schülern durch dasMuseum und verleiden ihnen mit ihrer Stumpfsinnigkeit die Kunst. Aber was ist diese Kunst an diesen Wänden anderes, als Staatskunst , denke ich. Reger redet nur von Staatskunst , wenn er über die Kunst redet, und wenn er über die sogenannten Alten Meister redet, redet er immer nur über die alten Staatsmeister . Denn die an diesen Wänden hängende Kunst ist ja nichts anderes, als eine Staatskunst, wenigstens die hier in der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums hängende. Alle diese hier an den Wänden hängenden Bilder sind ja nichts anderes als Bilder von Staatskünstlern. Katholische Staatskunst gefällige, nichts anderes . Immer wieder nur ein Antlitz, wie Reger sagt, kein Gesicht. Immer wieder nur ein Haupt, kein Kopf. Alles in allem immer nur die Vorderseite ohne die Kehrseite, immer wieder doch nur die Lüge und die Verlogenheit ohne die Wirklichkeit und die Wahrheit. Alle diese Maler waren doch nichts als durch und durch verlogene Staatskünstler, die der Gefallsucht ihrer Auftraggeber entsprochen haben, da macht nicht einmal Rembrandt eine Ausnahme, sagt Reger. Sehen Sie sich den Velázquez an, nichts als Staatskunst, den Lotto, den Giotto, doch immer nur Staatskunst, wie dieser schreckliche Ur- und Vor-Nazi Dürer, der die Natur an die Leinwand gestellt und getötet hat, dieser schauerliche Dürer , wie Reger sehr oft sagt, weil er Dürer tatsächlich zutiefst haßt, diesen Nürnberger Ziselierkünstler . Als Staatsauftragskunst bezeichnet Reger die hier an den Wänden hängenden Bilder, zu welcher selbst derWeißbärtige Mann zählt . Die sogenannten Alten Meister haben immer nur dem Staate gedient oder der Kirche gedient, was auf das gleiche hinausläuft, so Reger immer wieder, einem Kaiser oder einem Papst, einem Herzog oder einem Erzbischof. So wie der sogenannte freie Mensch eine Utopie ist, ist der sogenannte freie Künstler immer eine Utopie gewesen, ein Wahnsinn, so Reger oft. Die Künstler, die sogenannten großen Künstler, so Reger, denke ich, sind außerdem die skrupellosesten aller Menschen, sie sind noch vielskrupelloser als die Politiker. Die Künstler sind die Verlogensten, noch viel verlogener als die Politiker, also die Kunstkünstler sind noch viel verlogener als die Staatskünstler, höre ich jetzt wieder Reger. Diese Kunst wendet sich doch immer dem Allmächtigen und den Mächtigen zu und von der Welt ab, so Reger oft, das ist ihre Niedertracht. Armselig ist diese Kunst, weiter nichts, höre ich jetzt Reger gestern sagen, während ich ihn heute vom Sebastiano-Saal aus beobachte. Warum malen die Maler eigentlich, wo es doch die Natur gibt?, fragte sich Reger gestern wieder einmal. Selbst das außerordentlichste Kunstwerk ist doch nur eine armselige völlig sinn- und zwecklose Mühe, die Natur nachzumachen, ja nachzuäffen, sagte er. Was ist Rembrandts gemaltes Gesicht seiner Mutter, gegen das tatsächliche Gesicht meiner eigenen?, fragte er wieder. Was sind die Donauauen, durch die ich gehen kann, während ich sie sehen kann, gegen die gemalten? , sagte er. Es gibt nichts Widerlicheres für mich, sagte er gestern, als die gemalte Herrschaft. Herrschaftsmalerei, sonst nichts, sagte er. Festhalten , sagen die Leute, dokumentieren , aber es wird ja doch, wie wir wissen, nur Verlogenes, Unwahres, es wird nur die Unwahrheit und die Verlogenheit festgehalten und dokumentiert, die Nachwelt hat nur Unwahrheit und Verlogenheit an den Wänden hängen, nur Unwahrheit und Verlogenheit ist in den Büchern, die uns die sogenannten großen Schriftsteller hinterlassen haben, nur Unwahrheit und Verlogenheit in den Bildern, die an diesen Wänden

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