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Alte Meister: Komödie (German Edition)

Alte Meister: Komödie (German Edition)

Titel: Alte Meister: Komödie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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sie doch immer wieder studiere. Aber sie sind abstoßend, das ist ganz klar, sagte er gestern. Die Alten Meister, wie sie jetzt schon seit Jahrhunderten genannt werden, halten nur der oberflächlichen Betrachtungstand, betrachten wir sie eingehend , verlieren sie nach und nach und am Ende, wenn wir sie wirklich und wahrhaftig und das heißt, so gründlich wie möglich die längste Zeit studiert haben, lösen sie sich auf, sind sie uns zerbröckelt und lassen nur einen faden, ja meistens einen ganz üblen Geschmack in unserem Kopf zurück. Das größte und das bedeutendste Kunstwerk liegt uns am Ende doch schwer als ein riesiger Klumpen Gemeinheit und Lüge im Kopf, wie ein viel zu großer Klumpen aus Fleisch im Magen. Wir sind von einem Kunstwerk fasziniert und es ist am Ende doch lächerlich. Wenn Sie sich Zeit nehmen und einmal Goethe eindringlicher als normalerweise und mit einer viel größeren Intensität als normalerweise und mit einer viel größeren Unverschämtheit als normalerweise lesen, kommt Ihnen am Ende das Gelesene lächerlich vor, ganz gleich, was es ist, Sie brauchen es nur öfter als normalerweise lesen, es wird unweigerlich lächerlich und selbst das Gescheiteste ist am Ende eine Dummheit. Wehe, Sie lesen eindringlicher, Sie ruinieren sich alles, was Sie lesen. Es ist ganz gleich, was Sie lesen, es wird am Ende lächerlich und ist am Ende nichts wert. Hüten Sie sich vor dem Eindringen in Kunstwerke, sagte er, Sie verderben sich alles und jedes, selbst das Geliebteste. Schauen Sie ein Bild nicht lang an, lesen Sie ein Buch nicht zu eindringlich, hören Sie ein Musikstück nicht mit der größten Intensität, Sie ruinieren sich alles und damit das Schönste und das Nützlichste auf der Welt. Lesen Sie, was Sie lieben, aber dringen Sie nicht total ein, hören Sie, was Sie lieben, aber hören Sie es nicht total, schauen Sie, was Sie lieben, an, aber schauen Sie es nicht total an. Weil ich alles immer total angeschaut habe, immer alles total gehört habe, immer alles total gelesen habe oder wenigstens immer den Versuch gemacht habe, alles total zu hören und zu lesen und anzuschauen, habe ich mir schließlich und endlich alles vergraust, ich habe mir dadurch die ganze Bildende Kunst und die ganze Musik und die ganze Literatur vergraust, sagte er gestern. Wie ich mir mit dieser Methodeschließlich und endlich die ganze Welt vergraust habe, einfach alles. Jahrelang habe ich mir einfach alles vergraust und habe es, was ich zutiefst bereue, auch meiner Frau vergraust. Jahrelang, sagte er, habe ich nur in und durch diese Vergrausungsmethode existieren können. Jetzt weiß ich aber, daß ich nicht total lesen und daß ich nicht total hören und nicht total betrachten und anschauen darf, will ich weiter leben. Es ist eine Kunst, nicht total zu lesen und nicht total zu hören und nicht total zu betrachten und zu schauen, sagte er. Noch beherrsche ich diese Kunst nicht ganz, sagte er, denn meine Veranlagung ist ja die, alles total anzugehen und ebenso total durchzuhalten und total zu Ende zu führen, das ist, müssen Sie wissen, mein eigentliches Unglück, sagte er. Jahrzehntelang habe ich alles total tun wollen, das war mein Unglück, sagte er. Dieser höchstpersönliche, immer auf das Totale gerichtete Zersetzungsmechanismus, sagte er. Für solche Leute wie mich haben diese Alten Meister ja auch nicht gemalt und haben die großen alten Komponisten auch nicht komponiert und haben die großen alten Schriftsteller auch nicht geschrieben, naturgemäß nicht für Leute wie mich, niemals hätte einer von ihnen für einen Menschen wie mich gemalt oder geschrieben oder komponiert, sagte er. Kunst ist nicht für die totale Betrachtung und für das totale Hören und für das totale Lesen gemacht, sagte er. Diese Kunst ist für den armseligen Teil der Menschheit gemacht, für den alltäglichen, für den normalen, ja ich muß sagen, für keinen anderen als für den gutgläubigen. Ein großes Bauwerk, sagte er, wie rasch verkleinert es sich unter der Betrachtung eines Auges wie dem meinigen und ist es noch so berühmt und gerade und genau dann schrumpft es doch über kurz oder lang auf eine lächerliche Architektur zusammen. Ich bin auf Reisen gegangen, sagte er, um große Architektur zu sehen, naturgemäß zuerst nach Italien und nach Griechenland und nach Spanien, aber die Kathedralen sind unter meinem Auge bald zusammengeschrumpft auf nichts weniger als hilflose, jalächerliche Versuche, dem Himmel so etwas wie einen

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