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Alte Meister: Komödie (German Edition)

Alte Meister: Komödie (German Edition)

Titel: Alte Meister: Komödie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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eine leichtfertig in die Länge gezogene, sentimentale, fade Prosa voll innerer und äußerer Fehler als ein Kunstwerk auszugeben, das doch nichts ist als ein kleinbürgerliches Linzer Machwerk. Es wäre ja auch undenkbar, daß aus dem kleinbürgerlichen Provinzloch Linz, das seit Keplers Zeiten ein tatsächlich zum Himmel schreiendes Provinzloch geblieben ist, das eine Oper hat, in der die Leute nicht singen können, ein Schauspiel, in dem die Leute nicht spielen können, Maler, die nicht malen, und Schriftsteller, die nicht schreiben können, aufeinmal ein Genie hervorgegangen wäre, als welches doch Stifter allgemein bezeichnet wird. Stifter ist kein Genie, Stifter ist ein verkrampft lebender Philister und ein ebenso verkrampft schreibender muffiger Kleinbürger als Schulmann, der nicht einmal den geringsten Anforderungen an die Sprache entsprochen hat, geschweige denn darüber hinaus befähigt gewesen wäre, Kunstwerke hervorzubringen, sagte Reger. Stifter ist, alles in allem, sagte er, geradezu eine meiner größten künstlerischen Lebensenttäuschungen. Jeder dritte oder wenigstens jeder vierte Satz von Stifter ist falsch, jedes zweite oder dritte Bild in seiner Prosa ist verunglückt, und der Geist Stifters überhaupt ist, wenigstens in seinen literarischen Schriften, ein durchschnittlicher. Stifter ist in Wahrheit einer der phantasielosesten Schriftsteller, die jemals geschrieben haben und einer der anti- und unpoetischsten gleichzeitig. Aber die Leser und die literarischen Wissenschaftler sind auf diesen Stifter immer hereingefallen. Daß sich der Mann am Ende seines Lebens umgebracht hat, ändert an einer absoluten Mittelmäßigkeit nichts. Ich kenne keinen Schriftsteller auf der Welt, der so dilettantisch und stümperhaft ist und nochdazu so borniert engstirnig wie Stifter und so weltberühmt gleichzeitig. Mit Anton Bruckner ist es ähnlich, sagte Reger, der ist in seiner perversen Gottesfurcht katholizismusbesessen aus Oberösterreich nach Wien gegangen und hat sich dem Kaiser und Gott total ausgeliefert. Auch Bruckner war kein Genie. Seine Musik ist konfus und genauso unklar und genauso stümperhaft wie die Prosa von Stifter. Aber während Stifter heute, streng genommen, nurmehr noch totes Germanistenpapier ist, rührt Bruckner inzwischen alle Leute zu Tränen. Der Brucknersche Töneschwall hat die Welt erobert, kann man sagen, die Sentimentalität und die verlogene Pompösität feiern in Bruckner Triumphe. Bruckner ist ein genauso schlampiger Komponist wie Stifter ein schlampiger Schriftsteller, diese oberösterreichische Schlampigkeit haben die beiden gemeinsam. Beide machten sie eine sogenannte gottergebene und gemeingefährliche Kunst, sagte Reger. Nein, Kepler war ein toller Bursche, sagte Reger gestern, aber der war ja auch kein Oberösterreicher, sondern aus Württemberg; Adalbert Stifter und Anton Bruckner haben letzten Endes nur literarischen und kompositorischen Müll erzeugt. Wer Bach und Mozart schätzt und Händel und Haydn, sagte er, der muß Leute wie Bruckner auf die selbstverständlichste Weise ablehnen, er muß sie nicht verachten, aber ablehnen muß er sie. Und wer Goethe schätzt und Kleist und Novalis und Schopenhauer, der muß Stifter ablehnen und er braucht auch Stifter nicht verachten. Wer Goethe liebt, kann nicht gleichzeitig Stifter lieben, Goethe hat es sich schwer, Stifter doch immer zu leicht gemacht. Das Verwerfliche ist ja, sagte Reger gestern, daß ausgerechnet Stifter ein gefürchteter Schulmann gewesen ist und noch dazu Schulmann in gehobener Position und der so schlampig geschrieben hat, wie man es einem seiner Schüler niemals hätte durchgehen lassen. Eine Seite von Stifter von einem seiner Schüler Stifter vorgelegt, wäre von Stifter total mit dem Rotstift zerkritzelt worden, sagte er, das ist die Wahrheit. Wenn wir Stifter mit dem Rotstiftzu lesen anfangen, kommen wir aus dem Korrigieren nicht heraus, sagte Reger. Hier hat kein Genie zur Feder gegriffen, sagte er, sondern ein übler Stümper. Wenn es je den Begriff einer geschmacklosen, faden und sentimentalen und zwecklosen Literatur gegeben hat, so trifft er genau auf das zu, das Stifter geschrieben hat. Stifters Schreiben ist keine Kunst, und was er zu sagen hat, ist auf die widerlichste Weise unehrlich. Nicht umsonst lesen vor allem die in ihren Wohnungen gelangweilt den Tagesablauf begähnenden Beamtenweiber und -witwen Stifter, sagte er, und die Krankenschwestern in ihrer Freizeit und die Nonnen in ihren

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