Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alte Meister: Komödie (German Edition)

Alte Meister: Komödie (German Edition)

Titel: Alte Meister: Komödie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
Vom Netzwerk:
Klöstern. Ein tatsächlich denkender Mensch kann Stifter nicht lesen. Ich glaube, daß die Leute, die Stifter so hoch und so ungeheuer hoch schätzen, keine Ahnung von Stifter haben. Alle unsere Schriftsteller, ohne Ausnahme, reden und schreiben heute immer nur begeistert von Stifter und hängen ihm an, als wäre er der Schriftstellergott der Jetztzeit. Entweder diese Leute sind dumm und haben keinerlei Kunstgeschmack und verstehen von Literatur nicht das geringste, oder sie haben eben, was ich leider zuerst glauben muß, Stifter nicht gelesen, sagte er. Mit Stifter und Bruckner, hat er gesagt, dürfen Sie mir nicht kommen, jedenfalls nicht in Zusammenhang mit Kunst und was ich unter Kunst verstehe. Prosaverwischer, sagte er, der Eine, Musikverwischer der Andere. Armes Oberösterreich, sagte er, das tatsächlich glaubt, zwei der größten Genies hervorgebracht zu haben, während es doch nur zwei maßlos überschätzte Blindgänger erzeugt hat, einen literarischen und einen kompositorischen. Wenn ich bedenke, wie die österreichischen Lehrerinnen und Nonnen ihren Stifter auf dem katholischen Nachtkästchen liegen haben als Kunstikone neben ihrem Kamm und neben ihrer Zehenschere, und wenn ich bedenke, wie die Staatsoberhäupter beim Anhören einer Brucknersymphonie in Tränen ausbrechen, wird mir übel, sagte er. Die Kunst ist das Höchste und das Widerwärtigste gleichzeitig, sagte er. Aber wir müssen uns einreden, daß esdie hohe und die höchste Kunst gibt, sagte er, sonst verzweifeln wir. Auch wenn wir wissen, daß jede Kunst in der Unbeholfenheit und in der Lächerlichkeit und im Müll der Geschichte endet, wie alles andere auch, müssen wir geradezu selbstsicher an die hohe und an die höchste Kunst glauben, sagte er. Wir wissen, was sie ist, eine stümperhafte, gescheiterte, aber wir dürfen dieses Wissen nicht immer wahrhaben, weil wir dann zugrunde gehen unweigerlich, sagte er. Um noch einmal auf Stifter zurückzukommen, sagte er, es gibt heute eine große Anzahl von Schriftstellern, die sich auf Stifter berufen. Diese Schriftsteller berufen sich auf einen absoluten Schreibdilettanten, der zeit seines Schriftstellerlebens nichts anderes getan hat, als die Natur zu mißbrauchen. Ein absoluter Naturmißbrauch ist Stifter vorzuwerfen, sagte Reger gestern. Ein Sehender hat er als Schriftsteller sein wollen und ein Blinder ist er als Schriftsteller in Wirklichkeit gewesen, sagte Reger. Alles an Stifter ist betulich, jungfernhaft tolpatschig, eine unerträgliche provinzielle Zeigefingerprosa hat Stifter geschrieben, sagte Reger, keine andere. Die Naturbeschreibung wird an Stifter gerühmt. Niemals ist die Natur so falsch konstruiert, wie sie Stifter beschreibt und ebensowenig ist sie so langweilig, wie er uns auf seinem geduldigen Papier glauben macht, sagte Reger. Stifter ist nichts als ein literarischer Umstandsmeier, dessen kunstlose Feder selbst da die Natur und naturgemäß dadurch auch den Leser lähmt, wo sie in Wirklichkeit und in Wahrheit lebendig und ereignisreich ist. Stifter hat auf alles seinen Kleinbürgerschleier gelegt und es beinahe erstickt, das ist die Wahrheit. Er kann in Wahrheit keinen Baum beschreiben, keinen singenden Vogel, keinen reißenden Fluß, das ist die Wahrheit. Er will uns etwas anschaulich machen und lähmt es nur, er will Glanz erzeugen und stumpft nur ab, das ist die Wahrheit. Stifter macht uns die Natur eintönig und die Menschen gemütsarm und geistlos, er weiß nichts und er erfindet nichts, und das, das er beschreibt, denn einzig und allein ein Beschreiberist er, beschreibt er grenzenlos bieder. Er hat die Qualität schlechter Maler, sagte Reger, die aus weiß was für einem unerfindlichen Grund zu Ruhm gekommen sind und die ja auch hier in diesem Haus überall an den Wänden hängen, denken Sie nur an Dürer und an diese vielen Hunderte von mittelmäßigen Erzeugnissen, von welchen der Rahmen, in den sie gerahmt sind, viel mehr wert ist, als sie selbst. Alle diese Bilder werden bestaunt, aber die Bestauner wissen nicht, warum, wie Stifter gelesen und bestaunt wird, ohne daß seine Leser wissen, warum. Das Rätselhafteste an Stifter ist seine Berühmtheit, sagte Reger, denn seine Literatur ist alles andere als rätselhaft. Die sogenannten Großen lösen wir auf, zersetzen sie mit der Zeit, heben sie auf, sagte er, die großen Maler, die großen Musiker, die großen Schriftsteller, weil wir mit ihrer Größe nicht leben können, weil wir denken und alles zu Ende denken,

Weitere Kostenlose Bücher