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Alte Meister: Komödie (German Edition)

Alte Meister: Komödie (German Edition)

Titel: Alte Meister: Komödie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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oder deutschen Strömung , sagte er, waren Kaufleute, Industrielle wie mein Vater, Bauern naturgemäß in früherer Zeit, mehr aus Böhmen als von woanders her, weniger aus den Alpen, mehr aus dem Alpenvorland und es hat auch einen kräftigen jüdischen Einschlag gegeben. Unter meinen Vorfahren hat es auch einen Erzbischof gegeben und einen Doppelmörder. Nein, habe ich mir immer gesagt, ich werde nicht genauer nachforschen, wo ich herkomme, denn dann grübe ich mit der Zeit möglicherweise noch mehr entsetzliche Fürchterlichkeiten aus, vor welchen ich, zugegeben, Angst habe. Die Leute graben ihre Vorfahren aus und wühlen und wühlen in ihrem Ahnenhaufen, bis sie alles durchwühlt haben und erst recht unzufrieden und dadurch doppelt vor den Kopf gestoßen und verzweifelt sind, sagte er. Ich bin niemals ein sogenannter Ahnenwühler gewesen, dazu fehlt mir jede Voraussetzung, aber nach und nach stellen sich selbst einem Menschen wie mir aufeinmal die merkwürdigsten Exemplare von Ahnen in den Weg, diesem Umstand entkommt kein Mensch, er mag sich noch so sträuben gegen diese sogenannte Ahnenausgrabung, er gräbt und gräbt. Alles in allem bin ich aus einer durchaus interessanten Mischung, sozusagen ein Querschnittdurch alles bin ich . Weniger als ich weiß, zu wissen, wäre in dieser Beziehung immer besser gewesen, aber das Alter bringt eben vieles ans Tageslicht, ungerufen, sagte er. Am liebsten habe ich den Tischlerlehrling, der achtzehnhundertachtundvierzig auf Cattaro Lesen und Schreiben gelernt hat und das in einem Brief stolz seinen Eltern in Linz mitgeteilt hat, sagte er. Dieser Tischlerlehrling aus der Mutterseite war auf der Festung Cattaro, dem heutigen Kotor, als Kanonier stationiert gewesen und ich besitze noch diesen Brief, den er, wie gesagt wird, achtzehnjährig freudestrahlend seinen Eltern aus Cattaro nach Linz geschrieben hat und auf welchem von der amtlichenkaiserlichen Post vermerkt ist, daß sein Inhalt bedenklich sei. Wir sind alles aus unseren Vorfahren, sagte Reger, alles zusammen und dazu noch das Eigene. Mit Stifter verwandt zu sein, war mir mein ganzes Leben eine kostbare Ungeheuerlichkeit gewesen, bis ich darauf gekommen bin, daß Stifter nicht der große Schriftsteller oder Dichter, wie immer, ist, als den ich ihn lebenslänglich verehrt gehabt habe. Daß ich mit Heidegger verwandt bin, habe ich auch immer gewußt, denn die Eltern haben das bei jeder Gelegenheit ausgeplaudert. Mit Stifter sind wir verwandt, mit Heidegger sind wir auch verwandt, und mit Bruckner auch, haben meine Eltern bei jeder Gelegenheit gesagt, so daß es mir oft peinlich gewesen war. Mit Stifter verwandt zu sein, empfinden die Leute immer als etwas Ungeheuerliches jedenfalls in Oberösterreich, aber selbst in ganz Österreich und es gilt der Gesellschaft immer wenigstens soviel, als wenn jemand sagt, er sei mit dem Kaiser Franz Josef verwandt, aber mit Stifter und mit Heidegger verwandt zu sein, ist das Außergewöhnlichste und das Bestaunenswerteste, das man sich in Österreich, aber auch in Deutschland, vorstellen kann. Und wenn dann, im geeigneten Augenblick, sagte Reger, auch noch gesagt worden ist, daß man auch noch mit Bruckner verwandt sei, dann sind die Leute ganz einfach nicht mehr aus dem Staunen herausgekommen. Unter den Verwandten einen berühmten Dichter zu haben, ist schon etwas Besonderes, dazu aber auch noch einen berühmten Philosophen unter den Verwandten zu haben, ist naturgemäß noch ungeheuerlicher, sagte Reger, aber dazu auch noch mit Anton Bruckner verwandt zu sein, ist das Höchste. Die Eltern haben diese Tatsache oft ausgespielt und natürlich ihre Vorteile daraus gezogen. Es kam nur darauf an, diese Verwandtschaften an der richtigen Stelle vorzubringen, natürlich war es selbstverständlich, daß sie von ihrem Verwandten Adalbert Stifter sprachen, wenn sie einen oberösterreichischen Vorteil haben wollten etwa bei der Landesregierung, auf die jeder Oberösterreichischer immerwieder angewiesen ist, oder von Anton Bruckner, den sie meistens dann herangezogen haben, wenn sie ein Wiener Problem hatten, so Reger, im Falle eines Linzer oder Welser oder eines Eferdinger Problems, also eines oberösterreichischen, haben sie natürlich gesagt, sie seien mit Stifter verwandt; hatten sie jedoch ein Wiener Problem, Bruckner sei ein Verwandter von ihnen und reisten sie durch Deutschland, sagten sie an jedem Tag hunderte Male, daß Heidegger ein Verwandter von ihnen sei und sie sagten dann immer,

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