Alte Meister: Komödie (German Edition)
Heidegger sei ein naher Verwandter von ihnen, ohne ehrlich zu sagen, wie nahe wirklich Heidegger ihnen sei, denn Heidegger ist tatsächlich mit ihnen und also auch mit mir verwandt, aber doch, wie gesagt wird, weit entfernt . Mit Stifter sind wir aber sehr nahe und mit Bruckner auch näher verwandt, sagte Reger gestern. Daß sie auch mit einem Doppelmörder verwandt sind, der die erste Hälfte seines reiferen Lebens in Stein an der Donau und die zweite Hälfte davon in Garsten bei Steyr, also in den zwei größten österreichischen Strafanstalten, zugebracht hat, sagten sie naturgemäß niemals, obwohl sie es doch hätten ebenso immer sagen sollen. Ich selbst habe mich nie gescheut, zu sagen, ein Verwandter von mir habe in Stein und in Garsten eingesessen, was wohl das Schlimmste ist, das ein Österreicher über seine Verwandtschaft sagen kann, im Gegenteil, ich habe es öfter gesagt, als notwendig, was natürlich auch wieder als Charakterschwäche ausgelegt werden kann, sagte Reger. Ich habe ja auch niemals verschwiegen, daß ich lungenkrank war und immer lungenkrank gewesen bin, sagte er, ich habe niemals in meinem Leben diese Fehlerund Mängelangst gehabt. Ich bin mit Stifter verwandt und mit Heidegger und mit Bruckner und mit einem Doppelmörder, der in Steyr und in Stein seine Strafe abgebüßt hat, habe ich sehr oft gesagt, auch wenn man mich nicht danach gefragt hat, sagte Reger gestern. Wir haben mit unserer Verwandtschaft zu leben, ist sie wie immer, sagte er. Wir sind ja diese Verwandtschaft, sagte er, ich inmir bin ja alle zusammen .Reger liebt den Nebel und das Düstere, er scheut das Licht, deshalb geht er ja auch ins Kunsthistorische Museum und deshalb geht er ja auch in das Ambassador, denn im Kunsthistorischen Museum ist es genauso düster wie im Ambassador und während er vormittags im Kunsthistorischen Museum die für ihn ideale Temperatur von achtzehn Grad Celsius genießen kann, genießt er die für ihn ideale Nachmittagstemperatur von dreiundzwanzig Grad Celsius im Ambassador, abgesehen von allem andern, das ihm einerseits im Kunsthistorischen Museum, andererseits im Ambassador entgegenkommt, ihm, wie er sagt, etwas wert ist. In das Kunsthistorische Museum kann die Sonne genausowenig eindringen, wie ins Ambassador, das entspricht ihm, denn er liebt keine Sonneneinstrahlung. Er geht der Sonne aus dem Weg, nichts flieht er so, wie die Sonne. Ich hasse die Sonne, Sie wissen, ichhasse die Sonne wie nichts sonst auf der Welt , sagt er. Am liebsten hat er Nebeltage, an den Nebeltagen geht er schon sehr früh aus dem Haus, macht er sogar Spaziergänge, die er sonst nicht macht, denn im Grunde haßt er das Spazierengehen. Ich hasse das Spazierengehen, sagt er, es kommt mir sinnlos vor. Ich gehe und gehe während des Spazierengehens und denke nur immer wieder, daß ich das Spazierengehen hasse, ich habe dabei keinen andern Gedanken, ich verstehe gar nicht, daß es Leute gibt, die beim Spazierengehen denken können, etwas anderes denken können, als das, daß das Spazierengehen sinnlos und zwecklos ist, sagt er. Am liebsten gehe ich in meinen Zimmern hin und her, sagt er, dabei habe ich die besten Einfälle. Ich kann stundenlang am Fenster stehen und auf die Straße hinunterschauen, das ist eine Gewohnheit von mir, die ich mir in der Kindheit angewöhnt habe. Ich schaue auf die Straße hinunter und beobachte die Leute und frage mich, was diese Leute sind, was sie da unten auf der Straße bewegt, in Gang hält, das ist sozusagen meine Hauptbeschäftigung. Ich habe mich immer ausschließlich mit Menschen befaßt, die Natur an sich hat mich ja nieinteressiert, alles in mir war immer auf die Menschen bezogen, ich bin sozusagen ein Menschenfanatiker, sagte er, naturgemäß kein Menschheitsfanatiker, aber ein Menschenfanatiker. Mich haben immer nur die Menschen interessiert, sagte er, weil sie mich von Natur aus abgestoßen haben, ich bin von nichts intensiver angezogen als von den Menschen, gleichzeitig von nichts gründlicher abgestoßen als von den Menschen. Ich hasse die Menschen, aber sie sind gleichzeitig mein einziger Lebenszweck. Wenn ich in der Nacht nach Hause komme von einem Konzert, stehe ich sehr oft bis ein oder zwei Uhr früh am Fenster und schaue auf die Straße hinunter und beobachte die Menschen, die unten vorbeigehen. In dieser Beobachtung entwickle ich nach und nach meine Arbeit. Ich stehe am Fenster und schaue auf die Straße hinunter und arbeite gleichzeitig an meinem Aufsatz. Gegen zwei
Weitere Kostenlose Bücher