Altenberger Requiem
den berühmten Musikfestivals herum. Ein paarmal war sie schon in Bayreuth gewesen. Sie hatte überall Bekannte, von denen sie eingeladen wurde und die ihr Karten besorgten.
»Aber im Moment macht er sich zum Obst«, sagte Wonne.
Wir mussten beide lachen, als Mathisen den letzten Ton des italienischen Tenorklassikers ganz hoch nahm und dabei krächzend abstürzte. Das schien sein Publikum nicht zu stören. Es brach in jubelnden Applaus aus. Wahrscheinlich wäre er noch stürmischer geworden, wenn nicht mehr als die Hälfte der Leute keine Hand zum Klatschen frei gehabt hätten. Sie mussten entweder ein Glas, einen Teller oder beides festhalten.
»Ich glaube, ich werde fahren«, sagte Wonne. »Ich habe keinen Bock auf die Party.«
»Ich auch nicht«, sagte ich und versuchte, enthusiastisch zu klingen. »Die Nacht ist noch jung. Unternehmen wir was. Hast du Hunger? Wir könnten was essen gehen. Wenn wir nicht auf das fast auf gegessene Büfett dort zurückgreifen wollen.« Ich überlegte: Viel würde nicht mehr aufhaben. McDonald’s vielleicht.
Weich trafen mich ihre Lippen. Eine rosa Wolke hüllte mich ein. Wonne war stürmischer als beim ersten Mal. Schließlich machte sie sich los.
»Tut mir leid, ich muss weg«, sagte sie.
Irgendetwas in mir erstarb. »Das kann doch nicht dein Ernst sein.«
»Doch, Remi, ist es.«
Das klang endgültig. Und jetzt ließ sie auch noch den Motor an.
»Ich fahre.«
»Wer bist du?«, fragte ich. »Ich habe so wenig über dich erfahren. Das kann es doch nicht gewesen sein.«
»Willst du denn wirklich mehr über mich wissen?«
»Natürlich. Könnten wir nicht noch woandershin?«
Wieder ihre Lippen. Noch eine Steigerung. Weiche Bewegungen. Ihre Hand irgendwo auf meinem Arm. Ganz leicht und sanft.
»Nicht heute«, sagte sie. »Glaubst du, ich haue ab und du siehst mich nie mehr? Davor brauchst du keine Angst zu haben. So leicht kommst du mir nicht davon.«
Ihr Blick, in dem sich die zuckenden Flammen der Fackeln spiegelten, ging an mir vorbei, und ich wandte den Kopf. Eine Gestalt hatte sich von der Partygesellschaft gelöst und kam auf uns zu.
»Steig aus«, sagte Wonne.
»Wieso?«
»Ich fahre. Ich will keinen Ärger. Geh schon.«
»Wieso Ärger…?«
»Mach’s gut. Ich melde mich.«
»Aber wie? Du hast nicht mal meine Telefonnummer.«
Ich stand schon neben dem Auto. Sie begann zurückzusetzen.
»Die finde ich im Telefonbuch.«
»Aber ich hüte ein Haus. Ich wohne derzeit nicht in meiner Wohnung, sondern zwischen Mettmann und Wülfrath …«, rief ich den roten Rücklichtern hinterher. Keine Ahnung, ob Wonne es gehört hatte. Dann stand ich allein da, und ich fühlte mich, als hätte mir jemand etwas ausgerissen.
»Remi! Wie schön, dass du dich auch mal hier blicken lässt. Wie ich sehe, hast du dich glänzend amüsiert.«
»Ja«, sagte ich benommen. Die Lichter wurden kleiner und verschwanden. Erst jetzt wurde mir klar, dass Jutta neben mir stand.
Sie packte mich am Arm. »Kannst du mir mal sagen, was das soll? Du haust einfach ab und lässt mich im Stich. Nicht nur dass du viel zu früh losfährst und nicht auf die anderen wartest. Du verschwindest auch noch spurlos.«
Drüben begann die Band wieder zu spielen. Ich erkannte »Moon River«. Mit Saxofonsolo. So laut, als bestünde das Publikum aus Gehörgeschädigten. Wir konnten uns hier in der Dunkelheit prima streiten, ohne dass die Gäste es mitbekamen.
»Das mit dem frühen Losfahren war ein Versehen. Und sicher hast du mitbekommen, dass wir unterwegs über eine tote Frau gestolpert sind. Wonne hat die Tasche der Frau berührt, und deswegen mussten wir zur Polizei, weil sie die Fingerabdrücke vergleichen mussten.«
»Und du hast natürlich den großen Beschützer gespielt. Hättest nicht wenigstens du zurückkommen und mir helfen können?«
»Wie hätte ich das denn machen sollen? Wir waren mit ihrem Auto unterwegs.«
»Auf das ihr euch ja sofort gestürzt habt. Du hättest doch anrufen können.«
»Was stört dich denn eigentlich? Dass ich mit Wonne unterwegs war oder dass ich mich nicht gemeldet habe? Die Party läuft doch super. Du brauchst mich überhaupt nicht. Du hättest von Anfang an allein feiern sollen. Deine Gäste können mir eh gestohlen bleiben.«
»Bis auf einen, der noch nicht mal eingeplant war.«
Ich verstand nicht, warum Jutta das so kompliziert sah. Wonne war eben gekommen, ohne zuzusagen - war das so schlimm?
»Mein Gott, ja, wir haben uns gut verstanden. Gönnst du mir das
Weitere Kostenlose Bücher