Altenberger Requiem
solltest du langsam mal was Neues kennenlernen. Schon mal was von Slow Food gehört? Bring die Kaffeekanne mit.«
Ich gehorchte.
»Guten Morgen übrigens«, sagte sie, als ich am Tisch stand.
Sie zog mich an sich, gab mir einen echten, tief empfundenen, langen Kuss. Ihr Geruch vermischte sich mit dem des frischen Brotes, der Zitronenmelisse und all der anderen Wunderdinge, die in ihrer Konfitüre enthalten waren. Ich war jetzt absolut sicher, dass sie sie selbst eingekocht hatte.
»Nur damit du nicht denkst, du hättest das alles geträumt«, erklärte sie dann.
»Ich habe geträumt. Von dir.« Es war die Wahrheit. Gabi musste ich ja nicht erwähnen.
Sie lächelte mir zu, und wir setzten uns.
»Wie hast du mich eigentlich gefunden?«, fragte ich und griff nach einer Brotscheibe, jede Sekunde dieses herrlichen Morgens genießend. Und feststellend, dass mein Kater schlagartig verschwunden war. Wonne musste etwas Magisches an sich haben.
»Du hast mir doch gesagt, wo du das Haus hütest. Ich habe alle Häuser abgeklappert, bis ich das entdeckte, vor dem dein Auto steht.«
»Woher kennst du mein Auto?«
»Das ist nicht schwer. Erstes Indiz: Lange nicht gewaschen. Die Karre starrt vor Dreck.«
»Ach, und das ist so selten hier in der Gegend?«
»Zweites Indiz: W-Kennzeichen.«
»Wuppertal ist nicht weit.«
»Drittes Indiz …« Sie war bei den ersten beiden Indizien schon näher gekommen. Jetzt war ihr Mund schätzungsweise anderthalb Millimeter von meinem entfernt. Sie wollte mich küssen, doch ich wich zurück.
»Erst das Indiz.«
»Brief vom Finanzamt auf dem Rücksitz. Dein Name ist deutlich lesbar.«
Verdammt, sie hatte recht. Im selben Moment belohnte sie mich schon. Mein Herz versprühte Glückshormone. Sie hatte mich gesucht. Sie wollte mich.
»So ganz nebenbei stand dein Wagen auch bei der Party auf der Wiese«, fügte sie hinzu, als sie sich wieder losgemacht hatte. »Aber sag mal, das scheint ja eine tolle Hütte zu sein. Wem gehört die eigentlich?«
»Einem Freund, der gerade auf Reisen ist.«
»Hast du von Detektiv auf Haushüter umgesattelt?«
»Nein, ich mache das nur, um ihm einen Gefallen zu tun.« Das stimmte zwar nicht so ganz, aber das brauchte Wonne ja nicht zu wissen.
»Hast du das hier alles selbst gemacht?« Ich zeigte auf die Marmeladengläser.
Wonne biss in ihr Brot. »Mmm«, machte sie, und dabei rutschte ihr ein Tröpfchen Marmelade auf die Unterlippe. Sie bemerkte es, nahm eine Papierserviette und wischte es weg.
Das hatte ich noch gar nicht registriert. Sie hatte uns Servietten hingelegt. Wo sie die nur gefunden hatte?
»Nicht nur die Marmeladen«, sagte sie. »Ich hab auch das Brot selbst gebacken. Slow Food. Wie gesagt.«
»Kann man nicht auch Hamburger langsam essen?«
»Slow Food bedeutet nicht einfach langsames Essen, sondern bewusste Ernährung auf der Grundlage regionaler Küche. Mit heimischen Produkten. Dass man langsam und genussvoll essen soll, versteht sich dabei natürlich von selbst.«
Ich griff zu dem Glas mit der Himbeer-Zitronenmelisse-Marmelade, strich ein wenig auf meine gebutterte Brotscheibe und biss hinein. Wonne beobachtete mich.
»Na?«
Zuerst spürte ich nur eine leicht prickelnde Süße auf der Zunge, die sich mit dem vollen Geschmack des Brotes vermischte. Wie in kurzen Schlaglichtern flammten Bilder auf - von verwunschenen Gärten mit versteckten Himbeerhecken, die in der Sommerhitze vor sich hin brüteten. Von weiten Weizenfeldern, die der Wind streichelte.
»Ich habe übrigens einen Job für dich«, sagte Wonne.
Ich versuchte, die Bilder zu halten wie einen Traum, den man auf keinen Fall vergessen möchte. Ich biss noch mal in meine Scheibe. Es war ein Genuss. Aber das intensive Erlebnis vom ersten Mal kam nicht wieder.
»Ich kann im Augenblick leider keinen Job annehmen«, sagte ich.
»Hör dir erst mal an, worum es geht.«
Plötzlich hatte ich ein Déjà-vu. Ich sah Jutta, die hier gesessen hatte und mich für ihre Party anheuern wollte.
Verdammt, ich hatte einfach keine Lust, über Arbeit zu reden. Ich wollte den Tag mit Wonne verbringen und schwelgen … Nicht nur im Essen, auch in anderen Genüssen, die uns noch bevorstanden.
»Es ist Sonntag«, fügte ich hinzu, weil mir nichts Besseres einfiel.
»Einem Engagement steht nichts im Wege … Das waren deine Worte gestern, erinnerst du dich? Du würdest mir einen großen Gefallen tun.«
»Also gut. Du kannst mir ja wenigstens sagen, worum es geht.« Ich nahm einen Schluck
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