Altenberger Requiem
- die Kugel, die durch Matzes Arm oder durch was auch immer hindurch ihren Weg mitten in das Glas gefunden hatte. Der Spiegel war in einen goldfarbenen Rahmen eingefasst, und mir kam der Gedanke, dass es sich um ein antikes Stück handeln könnte. Fünfstellig? Sechsstellig!
Ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, was dieses Teil wohl wert war und wie viel die Gesamtsumme mit der Vase ergab, fielen die Segmente plötzlich herunter und schepperten auf die Fliesen.
Das imaginäre Klingeln der Registrierkasse ergänzte das klirrende Geräusch wie ein Tusch.
Dann spürte ich Wonnes Hand auf meiner Schulter.
»Mach dir nichts draus. Dein Freund ist bestimmt gut versichert.«
Mühsam tappte ich zurück ins Wohnzimmer, ließ mich auf dem Sofa nieder und versuchte die schwarz-weißen Scherben, die auf dem Teppich lagen, zu ignorieren.
Ein Gefühl der Schwäche überfiel mich. Am liebsten wäre ich hier liegen geblieben und nie mehr aufgestanden.
Ich musste eingeschlafen sein. Diesmal hatte ich nichts geträumt. Kaum war ich bei Bewusstsein, wurde mir klar, dass sich etwas verändert hatte. Das Licht war nicht eingeschaltet. Nur die Lampe über dem Esstisch nebenan brannte, aber sie war heruntergedimmt.
»Wonne?«, fragte ich.
Keine Antwort.
Unruhe packte mich, und ich richtete mich auf. Ich war im Gästezimmer. Eine Decke rutschte von mir herab. Wonne hatte mich offenbar so gut gebettet, wie es ging. Ich spürte, dass ich keine Hose und keine Socken trug. Nur Unterhose und T-Shirt hatte sie angelassen.
Jetzt erinnerte ich mich. Ich war so müde gewesen, so schrecklich müde.
Als ich mich wieder bewegte, raschelte etwas auf der Decke. Ein Blatt Papier. In großer Schrift hatte Wonne eine Nachricht hinterlassen.
»Bin schnell zurück. W.«. Dahinter war ein Herz gemalt.
Vorsichtig stand ich auf und ging ins Bad. Ich schaffte es, zu duschen und mir die Zähne zu putzen. Ich zog mir meinen Schlafanzug an und legte mich wieder ins Bett. Die bleierne Müdigkeit ergriff mich erneut.
Als ich aufwachte, fand ich die andere Seite des Bettes zerwühlt. Wonnes Duft hing noch in dem Bettzeug, und von der Küche drang Klappern herauf.
Mein Handy auf dem Nachttisch zeigte, dass es kurz nach acht Uhr war.
Wonne betrat das Zimmer - frisch wie der junge Morgen, der hell durchs Fenster hereinschien.
»Na, haben der Herr ausgeschlafen?«
Ich brummte etwas.
»Das ist gut. Steh auf - es gibt Neuigkeiten.«
22. Kapitel
Als ich die Treppe hinunterging, wurden die Erlebnisse der Nacht wieder lebendig. Der Schmerz im Oberarm hatte sich zu einem stechenden Klumpen zusammengezogen. Doch dann sah ich den geradezu lukullisch gedeckten Esszimmertisch, und die Erinnerung an den Überfall nahm die Bedeutung eines unangenehmen Traumes an. Die Marmeladensorten übertrafen sich in verschiedenen Rottönen. Neben jedem Teller wartete bereits ein gelb leuchtendes Glas frisch gepressten Orangensafts.
Wonne sah mich mit glänzenden Augen an. Ich hatte das Gefühl, sie würde gleich mit irgendetwas herausplatzen.
»Was ist denn? Ah, stimmt. Du hast gesagt, es gibt Neuigkeiten.«
»Allerdings. Ich habe schon gearbeitet. Und etwas herausgekriegt.«
Ich setzte mich und griff zur Kaffeekanne.
»Ich bin gespannt. Und ganz Ohr«, sagte ich, nachdem ich an der Tasse genippt hatte.
»Ich habe noch mal diesen Herrn Hollrich angerufen.«
»Hollrich?«
»Die Telefonnummer aus Klara Hackenbergs Unterlagen.«
»Ich denke, der Ordner ist weg? Matzes Leute haben ihn doch mitgenommen.«
Sie legte einen Zeigefinger an die Schläfe, als wollte sie mir einen Vogel zeigen, und lächelte verschmitzt. »Ich weiß ja nicht, wie es dir geht. Aber ich habe ein Gehirn. Zum Denken.«
»He, Moment mal«, rief ich in gespielter Entrüstung.
»Und zum Merken«, fuhr Wonne fort. »Wenn du dich erinnerst: Kurz bevor die Typen gestern ins Haus stürmten, habe ich Klara Hackenbergs Unterlagen durchgesehen. Und die Telefonnummer war ja nicht so lang. Hückeswagener Vorwahl, und dann waren es nur noch vier Ziffern.«
»Nicht schlecht«, gab ich zu und angelte mir die Butterdose. »Aber dieser Hollrich wusste doch von nichts.«
»Er nicht, aber sein Vormieter. Eine gewisse Frau Georgi. Ich habe etwa eine Stunde damit verbracht, herauszufinden, wo sie heute wohnt. Gar nicht so weit weg - in Engelskirchen. Hier ist die Telefonnummer.«
Sie hatte von irgendwoher einen Zettel geholt und schob ihn mir hin.
Ich träufelte Wonnes Erdbeermarmelade auf eine Brotscheibe
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