Altenberger Requiem
hat. Es ist, wie du gesagt hast.« Unterschrift: »SM«.
»Das sind ja nur Initialen«, sagte ich. »Das heißt doch nichts.«
»Ja. Aber der Brief steckte zusammen mit diesem Programm hier in einer Hülle.«
Ich nahm das zweite Dokument. Es war ein gedrucktes Heft. Das Programm zu einem Konzert im Altenberger Dom. Vorne stand in großen Lettern »Giuseppe Verdi«, darunter »Missa da Requiem« und schließlich ein Datum: »31. Oktober 1975«.
Ich schlug das Heft, das nur aus vier Seiten bestand auf, und fand die Liste der Mitwirkenden. An einem Namen unter den Solisten blieb ich hängen: »Sandro Marino, Tenor«.
Wonne starrte geradeaus in die Büsche. »Offensichtlich hatte meine Mutter ein Faible für Tenöre.«
»Und du hast ein Faible für die Verdi-Messe. Das ›Requiem‹. Wieso eigentlich?«
»Meine Mutter hat es immer gespielt. Es gibt da herrliche Solostellen. Viele berühmte Tenöre haben es gesungen. Sandro Marino, wie du siehst. Siegfried Mathisen übrigens auch.«
»Sonst hast du keine Unterlagen über Marino?«
»Nein, tut mir leid.«
»Welche Dokumente hast du denn über die Verbindung zwischen Mathisen und deiner Mutter?«, fragte ich.
»Ich glaube nicht, dass das etwas mit dieser Sache zu tun hat«, erklärte Wonne.
»Ich will es nur zeitlich einordnen, es kann doch sein …«
»Remi, bitte. Das belastet mich. Können wir nicht die Mathisengeschichte ausklammern?«
»Wann bist du geboren?«
»1979.«
»Da waren Marino und deine Mutter aber schon wieder auseinander. Jedenfalls deutet der Brief das an.«
»Er deutet es an, ja. Aber sie hatten Zeit genug, sich wieder zu versöhnen.«
»Und wann hat deine Mutter Mathisen kennengelernt?«
»Remi, muss das sein?«
»Ich will mir nur ein Bild machen. Dann lass ich dich auch in Ruhe. Wir werden den Namen Mathisen nicht mehr erwähnen.«
»Versprochen?«
»Versprochen.«
»Also gut. Ich musste ein bisschen rechnen und die alten Terminkalender auswerten, um herauszufinden, was passiert sein konnte. 1978 ist meine Mutter nach Salzburg gefahren, um Fotos von Mathisen und anderen Künstlern zu machen. Sie muss schwanger zurückgekommen sein. Das ergibt sich jedenfalls aus ihren Unterlagen.«
Gut, dachte ich. Erst Marino, dann Mathisen. Mathisen war zu dieser Zeit sicher schon mit Hermine Weißenburg verheiratet gewesen, aber das hieß ja nichts.
Ein elektronisches Geräusch mischte sich in meine Gedanken. »Dein Handy«, sagte Wonne.
Ich stand von der Liege auf, und mit einem Mal spürte ich wieder die Schmerzen der gestrigen Schlägerei. Ein Ziehen in den Schultern.
Ich ging ins Haus. Als ich im Wohnzimmer war, hatte der Anrufer schon aufgelegt. Auf dem Display stand »Anruf von Jutta in Abwesenheit«.
Ich rief zurück. Jutta saß offenbar im Auto.
»Hallo, Remi?«, schrie sie gegen den rauschenden Lärm an. »Du bist ja doch da. Wart ihr beschäftigt?«
»Keine Anzüglichkeiten. Was gibt’s?«
»Bist du in Mettmann?«
»Ja, wir müssen aber gleich weg.«
»Ich bin in zehn Minuten da. Dein Anruf von gestern Abend. Ich habe was herausgefunden.«
»Ich auch. Ich kenne jetzt einen Konzerttermin von Sandro Marino. Jetzt müssen wir nach alten Bekannten suchen und irgendwie herauskriegen, was aus ihm geworden ist … Wäre toll, wenn du mir da helfen könntest.«
»Vielleicht ist das gar nicht nötig.«
»Wieso?«
Juttas Stimme nebelte sich mit Störgeräuschen ein.
»Ich bin gleich da«, verstand ich noch. Dann war die Leitung gekappt.
23. Kapitel
»Was ist denn nun?«, fragte Wonne bereits zum dritten Mal. »Wir sollten zu diesem Georgi fahren.«
»Juttas Infos sind sicher auch wichtig. Wir könnten Zeugen finden, die Marino kannten …«
Auch das hatte ich schon dreimal gesagt, aber Jutta kam immer noch nicht. Schließlich war ich es leid und rief sie wieder an.
»Ich biege gerade in die Einfahrt«, rief sie, und im selben Moment näherte sich auf der anderen Seite des Hauses ein Motorengeräusch.
Ich ging nach vorne und ließ sie herein. »Nett habt ihr’s hier«, sagte sie, als sie auf die Terrasse trat. »Hallo, Wonne.«
Die beiden Frauen begrüßten sich mit Küsschen links und Küsschen rechts. Irgendwie hatte ich aber das Gefühl, dass das alles nur Show war. So nah sie sich mit ihren Wangen kamen, so deutlich war die Grenze. Nach der Begrüßung traten beide sofort einen Schritt zurück. Das Ganze erinnerte mich an zwei Magneten, bei denen man denselben Pol aneinanderzudrücken versucht, die sich aber immer
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