Alter Adel rostet nicht
Gedanken schweifen.
Ich war zwar nicht mehr völlig durcheinander mit den Nerven, aber immer noch ziemlich mitgenommen. Solange sich dieses Notizbuch nicht in Sicherheitsverwahrung befand, konnte die Woostersche Seele keine Ruhe finden. Zuviel hing von der Wiederbeschaffung der Kladde ab, denn wie ich schon zu Gussie sagte: Wenn der alte Bassett den gestrengen Herrn Vater spielte und das Aufgebot annullierte, war nicht damit zu rechnen, daß Madeline das Kinn recken und dem alten Herrn was pfeifen würde. Man brauchte nur einen flüchtigen Blick auf sie zu werfen, um zu wissen, daß sie zu jener selten gewordenen Kategorie von Mädchen gehörte, die noch an die väterliche Autorität glauben; und ich hätte hundert zu acht gewettet, daß sie in der oben skizzierten Situation zwar ein Seufzerchen machen und ein stilles Tränchen verdrücken würde, daß sich Gussie aber, wenn sich der Qualm erst mal verzogen hätte, wieder solo in freier Wildbahn befinden würde.
Diesen düsteren und sorgenvollen Gedanken hing ich gerade nach, als ich jäh aus meinen Grübeleien aufschreckte. Vor mir auf der Straße bahnte sich eine menschliche Tragödie an.
Die Abenddämmerung brach schon, wie sie das so zu tun pflegt, herein, aber es war noch hell genug, daß ich beobachten konnte, wie sich auf der Straße ein großer, massiger, mondgesichtiger Polizist auf einem Fahrrad näherte. Und man sah ihm an, daß er mit sich und der Welt zufrieden war. Sein Tagewerk mochte beendet sein oder auch nicht, auf jeden Fall befand er sich in diesem Augenblick offensichtlich außer Dienst, und alles in allem wirkte er wie ein Polizist, den nichts bedrückt außer vielleicht sein Helm.
Wenn ich Ihnen sage, daß er freihändig dahinradelte, dann gibt Ihnen das wohl eine Vorstellung davon, wie weit die Selbstvergessenheit dieses selig entrückten Dorfbobbys ging.
Die Szene erhielt ihre Dramatik dadurch, daß er anscheinend den hübschen Scotchterrier nicht bemerkt hatte, der ihn mit der Zielstrebigkeit und Ausdauer, die diese Hunderasse auszeichnen, verfolgte. Und so gondelte er gemächlich dahin und sog genüßlich die aromatische Abendluft ein, während der kleine Scottie mit gesträubtem Schnauzbart hinter ihm herjagte wie der Teufel hinter der armen Seele. Als ich Jeeves diese Szene später schilderte, meinte er, sie sei dem Höhepunkt in einer griechischen Tragödie vergleichbar, wenn einer stolz und selbstzufrieden daherschreitet und dabei nicht ahnt, daß ihm die Nemesis schon hart auf den Fersen ist. Da könnte er wohl recht haben.
Der Wachtmeister fuhr, wie gesagt, freihändig. Andernfalls wäre die Katastrophe, als sie schließlich hereinbrach, vielleicht nicht ganz so verheerend ausgefallen. In meinen jüngeren Jahren habe ich selbst ein bißchen Radsport betrieben (an anderer Stelle habe ich ja erwähnt, daß ich mal bei einem Dorffest Sieger im Radrennen der Chorknaben wurde), und wie ich aus eigener Erfahrung weiß, ist es beim Freihändig-Fahren von entscheidender Wichtigkeit, daß man nicht gestört und irritiert wird. Schon der kleinste Scotchterrier, der sich in dieser Situation in den Fuß des Velozipedisten verbeißt, kann dazu führen, daß dieser unversehens ins Schlingern gerät. Und wenn sich nicht beide Hände am Lenker befinden, wird aus diesem Schlingern, wie man sich denken kann, im Nu ein Sturz mit allen Schikanen.
Und so geschah es auch diesmal. Der Gesetzeshüter drehte einen Sturz, wie ich ihn schöner und saftiger noch nie zu sehen bekommen hatte. Im einen Augenblick glitt er noch munter und vergnügt in Augenhöhe dahin, und schon im nächsten lag er im Straßengraben, ein einziges Durcheinander von Armen und Beinen, während der Terrier von der Straße auf ihn hinunterschaute, wobei er diesen unverschämten Ausdruck himmlischer Unschuld zur Schau trug, den ich oft bei Scotchterriern, die mit der menschlichen Rasse in Konflikt geraten waren, bemerkt habe.
Und während der Polizist im Graben sich noch abrackerte und versuchte, seine Gliedmaßen zu entwirren, kam um die Straßenbiegung ein hübsches, von einem gut geschnittenen Tweedkostüm umgebenes junges Mädchen daher, in dem ich sogleich die mir vertraute S. Byng wiedererkannte.
Nach allem, was Gussie mir gesagt hatte, hätte ich natürlich mit Stiffy rechnen müssen. Beim Anblick des Scotchterriers hätte mir klar sein sollen, daß er ihr gehörte. Wo ein Scottie ist, ist auch eine Stiffy – das wäre eine logische Folgerung gewesen.
Stiffy war über
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