Alter Adel rostet nicht
dann auf die Hochzeitsreise zu expedieren. Und wenn Jeeves mit seinen Ratschlägen nicht gewesen wäre, hätten die finsteren Drohungen Roderick Spodes in Tateinheit mit Sir Watkyn Bassetts Blicken über den Kneiferrand möglicherweise Gussie auch noch den letzten Nerv geraubt und dazu geführt, daß er die Hochzeit abgeblasen und sich nach Afrika auf eine Molchsafari begeben hätte.
»Hm, ja«, sagte ich, »ich verstehe, was du meinst. Aber hör mal, Gussie. Es ist ja möglich, daß du Barmy Fotheringay-Phipps verachten kannst und Catsmeat Potter-Pirbright und – bei großzügiger Auslegung des Wortes – vielleicht auch mich, aber du könntest doch nie im Leben Spode verachten.«
»So? Könnte ich nicht?« Er lachte kurz auf. »Das mache ich doch mit links. Und bei Sir Watkyn Bassett schaffe ich das genauso mühelos. Ich sage dir, Bertie, diesem Hochzeitsempfang sehe ich mit der größten Gelassenheit entgegen. Ich bin heiter, gelöst, voll Selbstvertrauen. Es wird kein Stammeln und Erröten geben, kein Fingerschnipsen und kein nervöses Fummeln am Tischtuch, wie man es bei solchen Anlässen von den meisten Hochzeitern zu sehen bekommt. Ich werde diesen Männern starr ins Auge blicken, bis sie sooo klein sind. Und was die Tanten und Cousinen angeht, die werden sich vor Lachen biegen. Als Jeeves mir diesen Rat gab, habe ich gleich angefangen, mir Dinge zurechtzulegen, mit denen man Roderick Spode und Sir Watkyn Bassett zum Gespött der Menschheit machen könnte. Allein über Sir Watkyn kann ich dir mindestens fünfzig Tatsachen aufzählen, die es einem unfaßbar erscheinen lassen, daß man ein physisch und moralisch so verkommenes Subjekt all die Jahre in unserm schönen England geduldet hat. Ich habe sie mir alle in einem Notizbuch aufgeschrieben.«
»Du hast sie in einem Notizbuch aufgeschrieben?«
»Ja, in einem kleinen, in Leder gebundenen Notizbuch. Ich hab’s mir unten im Dorf gekauft.«
Ich war, offen gestanden, alarmiert. Auch wenn er das Notizbuch, wie zu vermuten war, unter Schloß und Riegel verwahrte, genügte dessen bloße Existenz, um einen unruhig werden zu lassen. Ich mochte gar nicht daran denken, was passieren würde, wenn das Ding in die falschen Hände geriete. Es war pures Dynamit.
»Wo bewahrst du es denn auf?«
»In meiner Brusttasche. Hier ist es … äh … nein, doch nicht. Na so was«, sagte Gussie. »Ich muß es irgendwo verloren haben.«
4
Ich weiß nicht, ob Sie das auch kennen, aber ich habe festgestellt, daß einem von Zeit zu Zeit, während man nichtsahnend vor sich hin lebt, auf einmal etwas passiert, das man schon von weitem als Schreckerlebnis identifizieren kann. Man weiß dann instinktiv, daß sich dieser Vorfall unauslöschlich ins Gedächtnis graben wird – falls Vorfälle wirklich graben können – und daß einen die Erinnerung daran noch jahrelang verfolgen wird, so daß man kurz vor dem Einschlafen plötzlich mit klopfendem Herzen hochfährt und dann keuchend in die Kissen zurückfällt wie ein Lachs auf dem Trockenen.
Zum Beispiel werde ich nie vergessen, wie ich als kleiner Knirps in meiner Internatsschule eines Nachts in das Arbeitszimmer des Direktors schlich, da ich aus gewöhnlich gutunterrichteten Kreisen erfahren hatte, daß er in dem Schränkchen unter dem Bücherregal eine Dose mit Keksen aufbewahrte; und wie ich dann, als ich schon mitten in diesem Zimmer stand und ein geordneter und unauffälliger Rückzug nicht mehr möglich war, feststellen mußte, daß der alte Nußknacker an seinem Schreibtisch saß und gerade – ein Zufall, an den ich nie so recht glauben konnte – mein Zeugnis schrieb, das, wie sich später herausstellte, eine ziemliche Katastrophe war.
Es hieße mit der Wahrheit sein Spielchen treiben, wenn ich behaupten wollte, daß Bertram in dieser Situation wie immer ruhig Blut bewahrt habe. Aber ich könnte wetten, daß ich damals Hochwürden Aubrey Upjohn nicht halb so fassungslos angestarrt habe wie jetzt Gussie, als er das sagte.
»Verloren?« japste ich.
»Ja, aber das macht nichts.«
»Das macht nichts?«
»Nein. Ich habe alles Wort für Wort im Kopf.«
»So? Na, das ist ja großartig.«
»Ja.«
»Stand denn viel drin?«
»Unmengen.«
»Gute Sachen?«
»Phantastische Sachen!«
»Wie schön.«
Man hätte annehmen sollen, daß selbst dieses Riesenkamel allmählich begreifen würde, welche schrecklichen Gefahren drohten. Aber nein. Seine Hornbrille funkelte arglos. Er wirkte voll des Lebens ungemischter Freude, wie der
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