Alter Adel rostet nicht
wünscht, es hätte ein paar Steine zur Hand. Dann wandte sie sich mir zu, und ich ging medias in res, wie Jeeves zu sagen pflegt.
»Stiffy«, sagte ich, »lassen wir mal den üblichen Schmus von wegen ›Schön, dich wiederzusehen‹ und ›Gut siehst du aus‹ und kommen wir sofort zur Hauptsache: Befindet sich in deinem Besitz ein kleines braunes, ledergebundenes Notizbuch, das Gussie Fink-Nottle gestern bei den Ställen verloren hat?«
Keine Antwort. Sie schien mit ihren Gedanken ganz woanders zu sein, vermutlich bei dem jüngst entradelten Oates. Erst als ich meine Frage wiederholte, erwachte sie aus ihrer Trance.
»Notizbuch?«
»Ja. Klein, braun, ledergebunden.«
»Voll von ziemlich gepfefferten Aufzeichnungen über gewisse Personen?«
»Genau!«
»Ja, das habe ich.«
Ich riß die Arme hoch und brach in ein frohlockendes Indianergeheul aus. Der Hund Bartholomew warf mir einen mißbilligenden Blick zu und knurrte etwas auf schottisch vor sich hin, aber ich beachtete ihn gar nicht. Und wenn ein ganzer Zwinger voll Scotchterrier die Weisheitszähne gebleckt und mich scheel angeguckt hätte – in diesem Augenblick des Überschwangs wäre mir das völlig schnurz gewesen.
»Jetzt fällt mir aber ein Stein vom Herzen!«
»Gehört es wirklich Gussie Fink-Nottle?«
»Ja.«
»Das heißt, daß Gussie diese vorzüglichen Charakterstudien über Roderick Spode und Onkel Watkyn verfaßt hat? Das hätte ich ihm gar nicht zugetraut.«
»Ich auch nicht. Die Sache ist sehr interessant. Es fing anscheinend damit an …«
»Obwohl ich nicht verstehen kann, weshalb jemand seine Zeit an Spode und Onkel Watkyn verschwendet, wenn es doch einen Oates gibt, der ein viel lohnenderes Objekt ist. Ich glaube, Bertie, ich bin noch nie einem Mann begegnet, der mir so beharrlich auf die Nerven gegangen ist wie Eustace Oates. Es ist zum Auswachsen mit dem Kerl. Erst stellt er sich auf seinem Stahlroß zur Schau und fordert direkt dazu auf, daß man ihn parterre bringt, und wenn es dann passiert ist, beschwert er sich auch noch! Und warum muß er immer so gemein auf meinem armen Bartholomew herumhacken? Jeder anständige Dorfköter ist ihm doch schon mal an die Hosenbeine gegangen, und das weiß er ganz genau.«
»Wo ist das Notizbuch, Stiffy?« fragte ich, um aufs Thema zurückzukommen.
»Mich interessieren jetzt keine Notizbücher. Mich interessiert nur Eustace Oates. Glaubst du, daß er mich wirklich vor Gericht bringen will?«
Ich sagte, ja, das hätte ich aus seinen Worten deutlich herausgehört, und daraufhin zog sie einen sogenannten Flunsch … Man sagt doch »Flunsch«, oder? Ich meine so ein Schmollmündchen mit vorgeschobener Unterlippe und so weiter.
»Ich habe mir’s schon gedacht. Für diesen Eustace Oates gibt es nur ein passendes Wort, nämlich ›bösartig‹. Er läuft immer nur herum und guckt, wen er als nächstes angiften könnte. Na ja, das gibt wieder Arbeit für Onkel Watkyn.«
»Wie meinst du das?«
»Er wird über mich zu Gericht sitzen.«
»Kann er das denn? Ich dachte, er wäre pensioniert?« sagte ich und dachte mit einigem Unbehagen an die Unterhaltung, die zwischen diesem Ex-Kadi und Roderick Spode stattgefunden hatte, als ich ihnen in dem Zimmer mit der Silberkollektion begegnete.
»Nur als Polizeirichter ist er pensioniert. Aber wer einmal die Robe getragen hat, kommt davon nicht mehr los. Er ist jetzt hier der örtliche Friedensrichter. Die Bibliothek ist sein Tribunal. Dort muß ich immer erscheinen. Manchmal gieße ich gerade die Blumen im Garten, manchmal sitze ich in meinem Zimmer und lese ein gutes Buch, und plötzlich kommt der Butler und sagt, ich würde in der Bibliothek erwartet. Und dort sitzt dann Onkel Watkyn hinter seinem Schreibtisch, ganz Würde und Hohes Gericht, und Oates steht in strammer Haltung da, um seine Aussage zu machen.«
Ich konnte es mir lebhaft vorstellen. Unerfreulich, so was. Beeinträchtigt das häusliche Glück eines jungen Mädchens.
»Und jedesmal läuft die Sache auf dasselbe hinaus. Ich werde verdonnert und muß berappen. Er hört gar nicht hin, wenn ich etwas zu meiner Rechtfertigung sage. Ich glaube, der Mann hat von Gerechtigkeit keinen blassen Schimmer.«
»Den Eindruck hatte ich auch, als er mir den Prozeß machte.«
»Und was das Schlimmste ist: Er weiß genau, wieviel ich im Monat bekomme, und er kann sich ausrechnen, was mein Portemonnaie hergibt. In diesem Jahr hat er mir schon zweimal alles bis auf den letzten Penny abgeknöpft, und
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