Alter Adel rostet nicht
durch ging wie ein spitzer Dolch.
Mit zitternden Knien ließ ich mich wieder auf das Mäuerchen plumpsen und stierte benommen vor mich hin. Wie lange ich so dagesessen habe, weiß ich nicht, aber es muß eine ganze Weile gewesen sein. Allerhand umherschwirrende Nachtfalter und Käferchen kollidierten mit mir, aber ich schenkte ihnen keine Beachtung. Erst als sich eine Stimme schräg oberhalb meines gramgebeugten Hauptes vernehmen ließ, erwachte ich aus meinem Koma.
»Guten Abend, Wooster«, sagte die Stimme.
Ich blickte auf. Die dunkle Masse, die vor mir aufragte wie eine Felswand, war Roderick Spode.
Es kann ja sein, daß auch Diktatoren mal ihre geselligen Momente haben, in denen sie abschalten und sich mit den Jungs gemütlich zusammensetzen, aber mir war von Anfang an klar, daß Roderick Spode, falls er überhaupt eine menschliche Seite besaß, nicht gekommen war, um sich von dieser zu zeigen. Sein Verhalten war schroff und von einem Mangel an Bonhomie gekennzeichnet.
»Ich habe mit Ihnen zu reden, Wooster.«
»Ja?«
»Ich war gerade bei Sir Watkyn Bassett, und er hat mir alles über dieses silberne Sahnekännchen erzählt.«
»Ja?«
»Und wir wissen jetzt, weshalb Sie hier sind.«
»Ja?«
»Sagen Sie gefälligst nicht dauernd ›Ja?‹, Sie Subjekt, und hören Sie mir zu!«
Manchen Leuten hätte sein Ton sicherlich mißfallen. Mir übrigens auch, aber Sie wissen ja, wie es so ist. Bei dem einen zögert man keine Sekunde, ihm den Kopf zu waschen, wenn er einen als Subjekt tituliert, und bei dem andern zögert man etwas länger.
»Hören Sie zu, ja?« wiederholte er und gebrauchte nun plötzlich selbst dieses »Ja?«. Inkonsequent nenne ich so was. »Wir wissen ganz genau, aus welchem Grund Sie hier sind. Ihr Onkel hat Sie geschickt, damit Sie für ihn dieses Sahnekännchen stehlen. Leugnen ist zwecklos. Ich habe Sie ja heute nachmittag selbst dabei ertappt, wie Sie das Kännchen in Händen hielten. Und nun haben wir erfahren, daß Ihre Tante auch noch herkommt. Die Aasgeier geben sich wohl ein Stelldichein, was?«
Nach einer Pause sagte er noch einmal: »Die Aasgeier geben sich wohl ein Stelldichein?« Anscheinend fand er die Formulierung sehr witzig. Mir kam sie reichlich albern vor.
»Nun, lassen Sie sich gesagt sein, Wooster, daß Sie beobachtet werden. Jeder Ihrer Schritte wird beobachtet. Und falls Sie versuchen sollten, das Sahnekännchen zu stehlen, dann garantiere ich Ihnen, daß Sie dafür ins Gefängnis gehen werden. Glauben Sie ja nicht, daß Sir Watkyn vor einem Skandal zurückschrecken wird. Er ist sich seiner Pflichten als Bürger und als Friedensrichter wohl bewußt.«
Bei diesen Worten legte er mir eine Hand auf die Schulter, und ich kann mich nicht erinnern, schon einmal etwas Unangenehmeres erlebt zu haben. Abgesehen von der, wie Jeeves sagen würde, Symbolik dieser Handlung fühlte es sich an, als hätte mich ein Pferd gebissen.
»Haben Sie eben ›Ja?‹ gesagt?« fragte er.
»Nein, nein!« versicherte ich ihm.
»Gut. Nun werden Sie wahrscheinlich denken, daß man Sie nicht erwischen wird. Sie bilden sich ein, daß Sie und Ihre feine Tante zusammen genug Gerissenheit besitzen, um das Sahnekännchen stehlen zu können, ohne daß man Ihnen auf die Schliche kommt. Aber täuschen Sie sich nicht, Wooster! Sie und Ihre Komplizin mögen Ihre Spuren noch so geschickt verwischen – wenn das Kännchen verschwindet, werde ich sofort wissen, wer es entwendet hat, und ich werde Sie zu Mus schlagen. Zu Mus!« wiederholte er, und zwar so genüßlich, als handelte es sich bei dem Wort um einen Schluck besonders köstlichen alten Portweins. »Ist das klar?«
»Ja, danke.«
»Sind Sie ganz sicher, daß Sie das begriffen haben?«
»Absolut.«
»Sehr schön.«
Eine schemenhafte Gestalt kam über die Terrasse auf uns zu, und plötzlich wurde sein Ton geradezu widerlich jovial.
»Ist das nicht ein herrlicher Abend? Na, ich will Sie nicht länger aufhalten. Sie werden sich fürs Abendessen umziehen wollen. Machen Sie sich nur keine Umstände. Ein einfacher Smoking genügt. Hier geht es ganz ungezwungen zu. Nun?«
Dieses letzte Wort galt der schemenhaften Gestalt. Ein wohlvertrautes Hüsteln ermöglichte es mir, sie zu identifizieren.
»Ich wollte Mr. Wooster sprechen, Sir. Ich soll ihm eine Nachricht von Mrs. Travers überbringen. Mrs. Travers übermittelt Ihnen ihre besten Empfehlungen, Sir, und läßt Ihnen mitteilen, daß sie sich im Blauen Salon aufhält und sich freuen würde,
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