Alter Adel rostet nicht
kenne. Ich weiß zwar nicht, was er im einzelnen verpatzen wird, so daß wir alle im Kittchen landen, aber irgendwas wird ihm schon einfallen. So, und jetzt werde ich mal dieses Notizbuch an mich nehmen, wenn du nichts dagegen hast.«
»Was für ein Notizbuch denn? Ach so. Gussies.«
»Ganz recht.«
»Wozu brauchst du es eigentlich?«
»Ich brauche es«, erwiderte ich streng, »weil es bei Gussie nicht gut aufgehoben ist. Er könnte es noch einmal verlieren, was zur Folge haben könnte, daß es deinem Onkel in die Hände fällt, was zur Folge hätte, daß er die Gussie-Madeline-Hochzeit von der Tagesordnung streicht, was zur Folge hätte, daß es mir ruck, zuck an den Kragen ginge.«
»Dir?«
»So, wie ich vor dir stehe.«
»Aber was hat das denn mit dir zu tun?«
»Das will ich dir sagen.«
Und mit knappen, wohlgesetzten Worten schilderte ich ihr, was sich damals in Brinkley Court abgespielt hatte, was daraus für eine Situation entstanden war und in welcher grausen Gefahr ich schwebte, wenn Gussie nicht mehr die Nummer eins auf der Liste der Heiratskandidaten war.
»Du wirst es mir sicher nicht als ungerechtfertigte Schmähung deiner Cousine Madeline auslegen«, sagte ich, »wenn ich behaupte, daß einen bei dem Gedanken, mit ihr in den heiligen Stand der Ehe treten zu sollen, der nägelbeißende Horror überkommt. Ich meine das gar nicht als Kritik an ihrer Person. Bei vielen der vornehmsten Damen der Welt würde es mir ähnlich ergehen. Es gibt eben gewisse weibliche Wesen, die man achtet, bewundert und verehrt, aber nur aus der Ferne. Sobald sie Anstalten machen, einem näher zu kommen, greift man unwillkürlich nach einem stumpfen Gegenstand. Und zu dieser Sorte Frauen gehört auch deine Cousine Madeline. Sie ist ein reizendes Mädchen und die ideale Partnerin für Gussie Fink-Nottle, aber bei Bertram ist ihr Typ nicht gefragt.«
Sie hatte mir mit roten Ohren zugehört.
»Ja, ich kann dich verstehen. Madeline ist sicher eine ziemliche Schreckschraube.«
»Den Ausdruck ›Schreckschraube‹ hätte ich zwar selbst nicht gebraucht, da ich meine, daß man sich als Kavalier eine gewisse Zurückhaltung auferlegen sollte. Aber da das Wort nun einmal gefallen ist, muß ich zugeben, daß es den Sachverhalt recht zutreffend beschreibt.«
»Ich hatte ja keine Ahnung von diesen Dingen. Kein Wunder, daß du hinter dem Notizbuch her bist.«
»Siehst du.«
»Tja, das bringt mich nun auf ganz neue Gedanken …«
Ihr Gesicht nahm wieder diesen ernsten, verträumten Ausdruck an. Nachdenklich strich sie dem Hund Bartholomew mit der Schuhsohle übers Fell.
»Na, komm schon«, drängte ich, »rück das Ding endlich raus.«
»Einen Augenblick. Ich muß mir das noch mal überlegen. Weißt du, Bertie, eigentlich müßte ich das Notizbuch Onkel Watkyn geben.«
»Wie bitte!«
»Mein Gewissen sagt mir das. Schließlich verdanke ich ihm sehr viel. Seit Jahren ist er wie ein Vater zu mir. Und er hat ein Recht darauf zu erfahren, wie Gussie über ihn denkt, findest du nicht? Ich meine, es ist doch ein schwerer Schlag für den alten Herrn. Da glaubt er, einen harmlosen Molchzüchter an seinem Busen genährt zu haben, und in Wirklichkeit handelt es sich um eine Schlange, die sich darüber lustig macht, wie er seine Suppe ißt. Andererseits bist du so hilfsbereit gewesen und willst Harold und mir helfen, indem du das Sahnekännchen stiehlst … Ich denke, da könnte ich mal fünf gerade sein lassen.«
Wir Woosters sind ja nicht auf den Kopf gefallen, und schon nach wenigen Minuten war mir klar, was sie damit meinte. Wie hat irgendwer irgendwo mal gesagt? »Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt.«
Sie hatte mir durch die Blume zu verstehen gegeben, um welchen Preis das Notizbuch zu haben sei. Mit anderen Worten, nachdem mich erst eine Tante beim Frühstück erpreßt hatte, wurde ich jetzt von einer alten Freundin kurz vor dem Abendessen zum zweitenmal erpreßt. Das war wirklich eine reife Leistung, selbst in einer Zeit des allgemeinen Sittenverfalls!
»Stiffy!« jammerte ich.
»Du brauchst gar nicht ›Stiffy!‹ zu schreien. Entweder parierst du und machst dich nützlich, oder Onkel Watkyn bekommt mit dem Frühstücksei und Kaffee eine äußerst pikante Lektüre serviert. Überleg’s dir gut, Bertie.«
Dann setzte sie den Hund Bartholomew in Trab und stöckelte in Richtung Heimat davon. Das letzte, was ich von ihr sah, war ein vielsagender Blick, den sie mir über die Schulter zuwarf und der mir durch und
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