Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition)
wir im Hamsterrad leben, wenn unsere Lebensplatte einen Sprung bekommen hat, wenn wir in unserer Automatisierung, in unserem vertrauten, sicheren Elend leben. Und dann, so will es der Wandlungscharakter des Lebens, will etwas verändert werden. In der Regel ist es der jugendliche Held, der die Erneuerung herbeiführt. Diesen Helden gibt es – ob Mann oder Frau – in uns allen.
2.2. Objektstufe und Subjektstufe
Jedes Märchen lässt sich auf der Subjekt- beziehungsweise Objektstufe betrachten. Die Auseinandersetzung mit dem alten König ist für uns alle – auf der Objektstufe – zunächst einmal die Auseinandersetzung mit dem leiblichen Vater, dem ersten König in unserem Leben. Er ist unser erster »männlicher Guru«. Wenn wir als kleines Baby in der Wiege liegen und aufschauen zu unseren Eltern, erscheint uns die Mutter als »Riesenmutter«, als erste Göttin, an der wir uns orientieren. Der »Riesenvater« dort oben ist der erste König in unserem Leben, der erste Vatergott. Wie haben die Eltern auf uns heruntergeblickt damals? Mit Achtung, Dankbarkeit und Wertschätzung oder mit Ablehnung und Geringschätzung? Schon in dieser frühen Zeit können Gottesbilder geprägt werden! Und was wir damals in der Urbeziehung zum ersten König, zur ersten Königin erlebt haben, tragen wir, wie unbewusst auch immer, in Beziehungen zu späteren Autoritäten, Vater- und Mutterfiguren, auch in Partnerschaften hinein.
Die erste Auseinandersetzung mit dem alten König, mag er nun als weise, liebevoll oder als schrecklich, bedrohlich erlebt worden sein, ist also die mit dem leiblichen Vater. Später folgen Ersatzväter, Autoritäten, Lehrer, Gurus, Vorbilder. Je liebevoller und selbstverständlicher die Erfahrung mit dem ersten König in unserem Leben war, desto leichter und vertrauensvoller wird auch der Zugang zu späteren Vaterfiguren sein, desto wahrscheinlicher ist auch, dass wir später positive »Vater-Gurus« anziehen.
»Objektstufig« gesehen, erzählen Märchen von Erfahrungen mit Königen, Vätern im Außen. Sie erzählen von unseren Lektionen im Reich dieser Könige und davon, wie wir diese überwinden oder »überwachsen« – oder auch, wie wir an ihnen scheitern können.
»Subjektstufig« gesehen ist der König oder Vater eine Gestalt des Inneren. Der Weg auf den Königsthron mit allen Hindernissen und Achterbahnen der Erfahrung wäre dann gleichzusetzen mit einem inneren Entwicklungs- oder Individuationsweg. Auch im Traum können Vaterfiguren und Autoritätsfiguren verstanden werden als Gestalten unseres Inneren. Wenn sie nicht in uns wären, könnten wir sie nicht träumen. Wir begegnen uns immer selbst, sowohl in Träumen als auch zum Beispiel in den Bildern der Märchenarbeit. Märchen können wunderbare Hebammen sein, die uns beim Auffinden innerer Potenziale unterstützen werden, wenn wir es nur zulassen. Sieh den Märchenkönig vor deinem inneren Auge – du begegnest nur dir selbst. Stell ihm eine Frage – du wirst dir selbst antworten!
2.3. Männlich und weiblich
Ein Wort noch zum Thema männlich und weiblich im Märchen. Wenn ich in meinen Gruppen mit Märchen arbeite, geht es ja immer darum, sich in bestimmten Gestalten selbst wiederzuentdecken. Es ist sehr häufig so, dass ein Mann sich in einer weiblichen Gestalt wiederfindet, oder sich von einer weiblichen Gestalt am tiefsten berührt fühlt, während eine Frau sich oft von einer männlichen Gestalt am meisten berührt fühlt, sich in einer männlichen Gestalt wiederfindet.
Ich tendiere dazu, wie auch in der Jungschen Psychologie üblich, männlich und weiblich nicht gleichzusetzen mit biologisch männlich und weiblich, da wir alle, ob als Mann oder Frau geboren, männliche und weibliche Anteile in uns haben. Die weibliche Seele im Mann nennt Jung Anima. Den männlichen Aspekt, der in der Frau wohnt, Animus. Ob man diese Begriffe nun verwendet oder nicht: Wenn ich vom alten König oder vom Helden spreche, wenn ich von der Königin spreche, wenn ich von irgendeiner männlichen oder weiblichen Gestalt spreche, dann meine ich damit eine archetypische Gestalt, die auf unterschiedliche Weise in uns allen wohnt. Der König wohnt genauso in der Frau wie die Königin im Mann. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist für uns Männer, unsere »innere Königin« zu erfahren, zu entdecken. Wenn wir eine gute »innere Ehe« führen, das Weibliche auch in uns selbst erkennen und schätzen lernen, was eben der klassische
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