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Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition)

Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition)

Titel: Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Riemann
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in – scheinbar – unbedeutenden Alltagssituationen können wir dieses Phänomen beobachten, können wir das »Gewohnheitstier« in uns erkennen. Ich erinnere mich zum Beispiel an meine Toskana-Gruppen: Spätestens am zweiten Tag haben die meisten Gruppenteilnehmer ihren Stammplatz im Gruppenraum oder am Esstisch und gehen immer wieder dort hin. Das innere Gewohnheitstierchen sagt: »Da hast du gestern überlebt, da gehst du wieder hin!« Wir sind eben, oft ohne es zu merken, gefangen in unseren Ritualen, in unseren Gewohnheiten. Es steht uns auf, es zieht uns an, es frühstückt uns, es denkt uns … Wenn wir uns dabei beobachten, merken wir, wie automatisiert wir sind, wie mächtig Kronos ist in uns. Diese Muster zu durchbrechen, macht Angst. Unsicherheit macht Angst. Der Weg ins Neue, ins Unbekannte wird im Märchen oft als Weg in den Tod dargestellt. Im Grunde ist es der Weg der Wandlung, des Stirb und Werde. Der Weg ins Reich des neuen Königs geht nicht ohne Angst. Auch dafür hat Don Juan eine Botschaft: „Ein Krieger geht seinen Weg voller Angst und absoluter Zuversicht“.
     
    Eine weitere Gestalt aus dem Symbolkreis des dunklen Königs ist Blaubart. So heißt er im deutschen Märchen, taucht aber unter anderem Namen in Märchen verschiedenster Kulturkreise auf, beispielsweise in dem Südseemärchen Taile, das in diesem Buch besprochen wird. Es handelt sich um einen Typus von Mann, der Frauen tötet oder verschlingt. Dies ist nicht wörtlich zu nehmen. Natürlich gibt es Frauenmörder, aber symbolisch gesehen ist dieser Blaubart eine Karikatur des Mannes der letzten Jahrtausende, des Patriarchats. Als rechtschaffener Mann galt in diesen Zeiten nur der, der möglichst wenig »weiblich« war, sprich: der seine weiblichen Energien, seine Gefühle, den Bezug zum Unbewussten abgeschnitten, abgetötet hat. Das muss nichts mit roher Gewalt zu tun haben. Eine moderne Form des Blaubartes zum Beispiel ist der kühle Intellektuelle, der alles analysiert, aber nichts versteht, der auf der Herzensebene nicht erreichbar ist.
     
    Dieses Erbe des alten Blaubart-Königs, dieses alte Männerbild ist für uns alle gleichermaßen fatal. Für uns Männer ist es so wichtig, uns auf die Suche nach unserer verlorenen Seele zu begeben, damit wir ganz werden, damit wir beziehungsfähig und liebesfähig werden. Ein neues Männerbild muss her, ein »Neuer König« muss auf den Thron!
     
    Für Frauen bedeutet das Erbe der Blaubart-Väter eine tiefe Verletzung, und das seit vielen Generationen. Wie soll ein Vater seine Tochter lieben und verstehen, wenn er seine innere Weiblichkeit tötet? Selbst in der Bibel ist von diesem unglückseligen Vater-Tochter-Verhältnis die Rede. Hildegunde Wöller hat das Buch »Vom Vater verwundet« geschrieben. Sie hat in der ganzen Bibel – unserer heiligen Schrift! – zu ihrem eigenen Entsetzen keine einzig wirklich positive Vater-Tochter-Geschichte gefunden. Reihenweise aber werden Töchter bestraft und verstoßen, wie auch immer schlecht behandelt – und letztlich geschieht dasselbe ja auch in der so genannten Mutter Kirche. Der männliche und weibliche Aspekt Gottes ist schon lange nicht mehr gleichwertig, wir haben ja kein »Mutterunser«. Dieses verwundete, verachtete, vernachlässigte Weibliche wird auf diesem Planeten seit langer Zeit immer mehr zu einem existenziellen Problem. Die Geduld von Mutter Erde mit dem Alten König scheint sich dem Ende zu nähern. Erdbeben, Überschwemmungen, Hurrikane belegen das. Wird der Klimawandel auch das Bewusstsein des Alten Königs verändern?
     
    Im Märchen ist der Neue König immer eine positive Gestalt. Ich kenne keine Geschichte, in der es anderes ist. Warum? Er hat ja den alten, oft lebensfeindlichen König überwunden und steht für die neue Entwicklung, für das Licht am Ende des Tunnels. Nun wird natürlich auch der neue König irgendwann wieder ein alter König sein, das Rad des Lebens wird sich weiterdrehen, aber auf der letzten Seite einer Geschichte ist mit der Inthronisierung des neuen Königs ein Entwicklungszyklus vollendet, alles wirkt rund, vollständig, erlöst. In der Regel ist der neue König verheiratet, er hat auf seinem Entwicklungsweg auch seine Prinzessin erlöst, er hat zur Liebe gefunden – das Bild der »heiligen Hochzeit« ist in sehr vielen Märchen auf der letzten Seite zu finden, während auf der ersten Seite der alte König häufig Witwer, eben ein Blaubart ist.
     
    Die Sehnsucht nach dem Neuen König, hat auch

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