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Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition)

Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition)

Titel: Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Riemann
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Kehre heim in Frieden, mich rufen die Geister, meine neuen Freunde!«
     
    Durch den Dschungel grollte plötzlich wieder das Brüllen des Tigers, und zu den Füßen des Knaben fiel ein lebloser Tierkörper nieder. Es war das größte Raubtier, welches ein Mensch je erblickt hatte. Der Jüngling zog ihm das gestreifte Fell ab und trug es in sein Dorf.
     
    Für seinen Mut und seine Tapferkeit wurde er zum ersten Jäger der Insel gewählt. Seit jener Zeit aber hörte niemand mehr in der Nacht das Weinen des Tigers. Doch noch heute pflanzen die Menschen Zwergpalmen vor ihre Hütten, um sich vor den Dämonen des Dschungels zu schützen. (MÄRCHEN AUS INDONESIEN)
     

4.5.1. Überlegungen zum Märchen
     
    Der Therapeut Viktor Frankl sagte einmal: »Nimm dir immer das höchste Ziel vor, nur dann schaffst du das, was möglich ist.« Das scheint auch das Motto dieses Fürsten zu sein, der den allergrößten Tiger des Dschungels erlegen möchte. Man könnte sich an unseren Ex- Bundeskanzler erinnern, der als junger Mann schon am Tor zum Kanzleramt gerüttelt haben soll mit den Worten: »Ich will da rein!«
     
    Für einen Sportler mag der große Tiger die Goldmedaille oder der Weltmeistertitel sein, für den Politiker das Kanzleramt, für den Schauspieler die Hauptrolle in einem Hollywood-Film, für den spirituell Suchenden die Erleuchtung. Jeder jagt seinen eigenen großen Tiger. Wie sieht dein Tiger aus?
     
    Die Haltung dieses Fürsten erinnert an den Königssohn aus dem bereits erwähnten Grimmschen Märchen „Der Königssohn, der sich vor nichts fürchtet“. Dieser kommt auf seiner Wanderschaft vor das Haus eines Riesen. Da ihm langweilig ist, beginnt er, mit den Kegeln, die dort herumliegen, zu spielen. Als der schlafende Riese durch diesen Lärm erwacht, stellt er den Königssohn zur Rede: Wie er es wagen könne, ungefragt mit diesen Kegeln zu spielen? Der Königssohn antwortet völlig respektlos: »Du Klotz, ich kann alles, wozu ich Lust habe!«
     
    »Alles ist möglich, wenn ich es nur wirklich will«, scheint das Motto des Königssohns wie auch dieses Fürsten zu sein. Mit diesem Omnipotenzgefühl, dieser Siegermentalität durch das Leben zu gehen, ist die notwenige Vorraussetzung, Grosses zu erreichen. Nur wer sich zutraut, den großen Tiger zu erlegen, »das große Wasser zu durchqueren« (ein Motiv aus dem chinesischen I Ging), kann es auch schaffen.
     
    Trainer oder Therapeuten, die mit Visionstechniken arbeiten, empfehlen etwa: Schließe jeden Tag einmal für fünf Minuten die Augen und sieh dich am Ziel! Sieh dich z.B. als umjubelter Star auf der Bühne oder mit der Goldmedaille um den Hals auf dem Siegertreppchen. Stecke das Ziel so hoch wie möglich, sei ruhig »unverschämt«! Gib deiner Vision Kraft. Nur dann kann sie Wirklichkeit werden!
     
    Was geschieht aber, wenn das große Ziel erreicht ist? Wie viele Olympiasieger haben sich zu Tode getrunken, wie viele Stars haben sich umgebracht, wie viele Lottogewinner verfluchen im Nachhinein ihr »Glück«! Von einem englischen Lord stammt der Ausspruch: »Es gibt zwei schlimme Dinge im Leben: einmal wenn dir ein Herzenswunsch nicht erfüllt wird, zweitens wenn er dir erfüllt wird.
     
    Leben findet immer im Hier und Jetzt statt, der Weg ist das Ziel. Es ist letztlich eine Illusion unseres Verstandes, dass wir endgültig und für immer glücklich sein werden, wenn wir das Ziel erreicht haben. Trotzdem ist es wichtig, Visionen zu haben, um begeistert unterwegs zu sein.
     
    Das Problem dieses Fürsten ist also nicht, dass er dieses hohe Ziel hat. Den klassischen Heldentypen zeichnet ja gerade diese Art von »Unverschämtheit« in der Zielsetzung aus. Das Problem des Fürsten ist auch hier wieder die Einseitigkeit seiner Haltung und die mangelnde Anbindung an das Weibliche. Er verlästert den Dschungel, der – wie der Wald – für das Reich des Unbewussten steht.
     
    Er durchschneidet ein Palmblatt mit der scharfen Klinge seines Messers: Diese scheinbar nebensächliche Handlung erzählt viel über seinen Umgang mit Mutter Natur, dem Grossen Weiblichen. Da erscheint es nur konsequent, dass die Beziehung zu seiner Frau (wohl eher eine Nicht-Beziehung) bis dato kinderlos, also »unfruchtbar« ist. Und als diese dann schwanger wird, ist er auf Tigerjagd. Das ist in Märchen häufig so: Ein König oder Held ist im Krieg, auf Abenteuer in der äußeren Welt unterwegs, während zu Hause ein Kind geboren wird.
     
    Auf die Realität übertragen: Viele Frauen

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