Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition)
Menschen, vor allem in Männern mit der »Fürsten-Haltung«. Wer solch hohe Ziele verfolgt, »einsame Spitze« werden will, ein »Überflieger«, will sich soweit wie möglich von Mutter Erde entfernen. Aber wir alle waren einst ein kleines Kind, abhängig und ohne Macht, ohnmächtig der Mutter ausgeliefert.
In dieser frühen Phase, die oft so angstvoll und schmerzlich erlebt wird, in der die Mutter als übermächtige Herrscherin über Leben und Tod erscheint (Wenn sie nicht kommt und uns nährt, müssen wir sterben!) können solche Fürsten-Konzepte geboren werden. Dann heißt es: Nie wieder will ich abhängig, schwach und bedürftig sein! So kann aus dem verletzten kleinen Sohn der große Krieger werden.
Verletzte Sohn-Krieger rächen sich dann am so bedrohlich machtvoll erlebten Mütterlichen, machen sich die Erde untertan, sehen im Dschungel nur Feinde oder Beutetiere und durchschneiden das Palmblatt genauso wie die Beziehung zum Weiblichen. Bis zur »Lianensituation« existiert das Weibliche so gut wie nicht. Weder scheint der Fürst auf seine Frau im Außen bezogen, noch hat er einen Draht zu seiner inneren weiblichen Welt. Das ändert sich erst in der Krisensituation.
Als die Haltung des Fürsten »stirbt«, wird der Sohn geboren, und was für ein Sohn! So könnte der Mann des neuen Zeitalters aussehen. Ein starker Kriegermann auf der einen Seite, der den Dolch des Vaters erbt, der auf der anderen Seite auf den Rat seiner Mutter hört, Naturverbundenheit und Mitgefühl kennt. Er ist nicht nur Jäger, sondern auch fähig, eine Palme zu pflanzen. Und zwar eine Zwergpalme! Ein wunderschönes Bild dafür, wie die Einseitigkeit des Vaters überwunden werden kann. Die Zwergpalme ist der magische Schutz dagegen, nicht der Mammutbaum!
In der Arbeit mit dieser Geschichte habe ich von vielen Gruppenteilnehmern die Frage gehört: Warum konnte dieser Fürst nicht erlöst werden? Warum musste er endgültig in die Welt der Dämonen verschwinden? Mir erscheint das sehr logisch, sehr konsequent, weil eine derartige Einseitigkeit, eine Haltung, wie sie der Fürst am Anfang der Geschichte verkörpert, dem Leben nicht dienen kann. Zumindest nicht auf Dauer – und deswegen muss sie verabschiedet werden.
Falsches Mitgefühl mit dem Vater, oder besser mit dessen einseitiger Lebenshaltung würde zum Tod des Sohnes führen. Die neue Entwicklung wäre gestoppt. Das weiß die Mutter und inzwischen auch der Fürst selbst, der seinen eigenen »Tod« geradezu herbeizusehnen scheint. Welch befreites Lachen wird möglich, wenn wir uns endlich von unseren lebensfeindlichen, rein männlichen Zielen und Idealen verabschieden! Dieses ewige: »Ich bin besser als du, ich habe Recht, ich zeig’s euch allen …«, das diesen Planeten zerstört!
Für Christenmenschen ist es in der Regel eine große Herausforderung, das Messer in Richtung des Vaters Herz zu reichen. Doch wenn du nicht manchmal bereit bist, das Messer zu gebrauchen, kommst du selbst unters Messer! Der Sohn verbindet auf wunderbare Art Mitgefühl mit absoluter Entschiedenheit.
Und dann fällt ihm buchstäblich vor die Füße, wonach sein Vater sein Leben lang gejagt hat: der riesige Tiger. »Der Weise tut nichts, doch bleibt nichts ungetan«, sagt Laotse. Sehr häufig ist es im Märchen die Haltung des »absichtslosen Helden«, die zum Erfolg führt. Ich erinnere an die Dummlingsgestalt, die in so vielen Märchen aller Länder auftaucht, meist von den älteren Brüdern verachtet, nicht ernst genommen vom Umfeld.
Und doch wird gerade dieser naive unschuldige Narr am Ende König. Vielleicht gerade, weil er nicht gierig auf den Königsthron ist, weil er ein gutes Herz hat, eine gute Anbindung an die innere Stimme, an die Weisheit des Unbewussten. Das zeichnet den Dummlingstypus aus, als Gegenpol zu dem vor allem im Westen verherrlichten »aktiven Helden«.
Dass der Sohn des großen Jägers intuitiv richtig handeln kann, liegt mit Sicherheit an seiner Anbindung an die mütterliche Weisheit. Spätestens seit der Fürst in den Lianen gefangen ist, übernimmt seine Frau, das Weibliche, die Regie. Sie versteht als einzige das Tigerweinen, erkennt darin die Stimme ihres Mannes, und – vielleicht ihre größte Heldentat – sie lässt ihren Sohn los!
Für den Sohn ist es notwendig, den Spuren des Vaters zu folgen, auch wenn er dann einem Ungeheuer begegnet. Der Sohn blickt dem Vater in die Augen, er hört auf seine Botschaft genauso wie auf
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