Altern Wie Ein Gentleman
sein, für den Planeten und seine Gesellschaften ist er die wichtigste Überlebensgarantie. Da die Natur, mit Ausnahme eines Pilzgeflechts, das ewige Leben nicht vorsieht, liegt die Frage nahe, ob es eine Altersgrenze nach oben gibt, jenseits derer unser Planet und die Menschheit an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gelangen. Wenn der Tod und das Alter keine Laune der Natur sind, sondern wesentlicher Bestandteil des gesamten Systems, wird eine Ausweitung der Lebenszeit nicht ohne Folgen bleiben können, über die nachzudenken sich jedoch vorerst verbietet. Das Alter werden wir weder abschaffen noch in seiner gesellschaftlichen Wertigkeit grundlegend verändern können. Wir sind jedoch dabei, es zu verlängern, wobei die Konsequenzen vorerst unbedacht bleiben. Sie werden sich eines Tages unnachsichtig zu Wort melden.
Der Wunsch und die Hoffnung, man möge nie vergehen und auf die eine oder andere Weise unsterblich bleiben, hat den Menschen von Beginn an beschäftigt. Die ersten Versuche, diesem Ziel näherzukommen, waren aufwendig und auf wenige Auserwählte beschränkt. Zeugen dieser Lösung sind die Pyramiden, die Tonsoldatenarmee in China und jede Dorfkirche in Europa.
Mit dem Aufkommen exakter Wissenschaften stellte man diese umgehend in den Dienst der großen Hoffnung. Nicht ohne Erfolg: Die Lebenserwartung hat sich in den zurückliegenden hundert Jahren verdoppelt. Die Unsterblichkeit liegt jedoch immer noch in weiter Ferne. »Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es keine Arznei oder Tablette von irgendeinem Wert, mit der sich das Alter bekämpfen ließe, und es ist unwahrscheinlich, dass es in absehbarer Zeit so etwas geben wird, wenn überhaupt«, erklärt Professor Sherwin B. Nuland von der Yale University.
Seriöse Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass die genetische Ausstattung des Menschen ihm eine Lebenszeit von maximal hundertzwanzig Jahren zugesteht. Damit würde die Berufszeit zu einer vergleichsweise kurzen Episode in seiner Biografie werden. Was das sozial, politisch und wirtschaftlich bedeutet, ist noch unbedacht.
Während wir uns hierzulande noch in einer Mischung aus Trotz, abendländischer Melancholie und Resignation mit dem Thema Alter auseinandersetzen, haben die Amerikaner ihm und der begrenzten Lebenszeit längst den Kampf angesagt. Während wir nach den Brosamen kurzer Augenblicke täglichen Glücks Ausschau halten, gehen sie dem Problem an die Wurzel, mit dem Ziel, das Alter gänzlich abzuschaffen. Anti-Aging heißt die neue Disziplin, die Anfang der neunziger Jahre entstand und heute mehr als zwanzigtausend Mitglieder aus allen medizinischen Berufen zählt. Auf dem Anti-Aging-Markt, der jährliche Wachstumsraten von etwa zehn Prozent erzielt, wurden bereits 2005 fünfundfünfzig Milliarden Dollar umgesetzt. Man sei gut beraten, klärt der neue Berufsstand auf, die Chancen dieses »gewaltigen Marktes« wahrzunehmen.
»Altern ist nicht zwangläufig!«, lautet die Parole jetzt. Von einem »Feldzug« ist die Rede, vom »Jungbrunnen«, den jeder inder Hand habe, und vom Bedürfnis, »für immer jung zu bleiben«. »Möchtest du hundert Jahre alt werden?«, heißt es suggestiv, »dann lies weiter!«
Damit sich die Sache auch lohnt, geht man kurzerhand davon aus, der Mensch könne bei heftiger Gegenwehr und entsprechendem Lebenswandel hundertfünfzig Jahre und älter werden. Einige Wissenschaftler visieren bereits die Zweihundert an. Das wäre eine attraktive Beute bei siegreichem Ausgang des Gefechts, dessen Ziel es ist, »die Folgen des Alterns zu verhindern oder gegebenenfalls rückgängig zu machen«. Es herrscht eine Aufbruchstimmung wie zur Renaissance, als der Mensch sich wieder entdeckte und sein Schicksal den himmlischen Kräften entwand, um es selbst in die Hand zu nehmen. Heute soll das Leben der irdischen Vergänglichkeit entwunden werden, ein Projekt, an das sich bislang noch keine Epoche der menschlichen Geschichte herangewagt hat.
Nun macht das lange Leiden von Hochbetagten, die, viele Jahre schwer erkrankt, auf ihr Ende warten, wenig Lust auf weitere hundert Jahre Lebenszeit. Deswegen werden die klassischen Beschwerden robust zur Seite geräumt. »Die Anti-Aging-Medizin wird Lösungen finden, um jene Krankheiten zu besiegen oder doch zu lindern, die zu Abhängigkeiten und Behinderungen führen«, wird eindringlich versprochen.
Der erste Teil des Feldzugs gegen die Sterblichkeit mit ihren unerfreulichen Begleiterscheinungen ist eine breite Publikationsoffensive. Die
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