Altern Wie Ein Gentleman
Kollege, der in zweiter Ehe eine entzückende Kollegin in alter Manier und klassischem Stil vor den Traualtar geführt hatte. »Du siehst die Hand vor Augen nicht. Es herrscht ein ohrenbetäubender Lärm. Du kannst nicht reden. Das heißt, ich konnte es nicht, die anderen wohl. Getanzt hab ich auch noch. Glaub mir, meine Stärken liegen im gepflegten Gespräch und nicht auf dem Tanzboden, dort hab ich noch keine rumgekriegt. Es war furchtbar. Wir sind dann früh gegangen. Auf dem Nachhauseweg habe ich geschwätzig den Laden kritisiert, aber meine Frau blieb nachdenklich und verstimmt.«
Ein anderes Mal vertraute er mir an, er habe in lauten Lokalen Schwierigkeiten, den Gesprächen zu folgen. »Ich höre alles, aber mein Kopf vermag nicht mehr die wichtigen von den unwichtigen Geräuschen zu unterscheiden. Es herrscht dann ein großer, undifferenzierter Lärm in mir. Ich sollte ein Hörgerät tragen, aber in meiner jetzigen Lage geht das gar nicht.« Seine Schwerhörigkeit hatte bereits öfter zu diffuser Zustimmung, unverstandenen Fragen und ratlosen Mienen bei seinen jugendlichen Gesprächspartnern geführt.
Betagten Männern, die jung gefreit haben, droht zudem ein Verlust, der ihnen anfänglich wie schöner Zugewinn erscheint, und den sie erst später als schmerzhaft empfinden: die Kontakte zur eigenen Alterskohorte. An der Seite einer jungen Frau lässt man sie gerne schleifen, bis sie sich verflüchtigt haben. Man beginnt, Freunde zu verstecken, die nicht mehr zu den jungen Leuten passen, in deren Kreisen man sich nun bewegt. Die ergrauten Bekannten in ihren verbeulten Hosen, weiten Jacken, dem unordentlichen Haarwuchs und den ordentlichen Zähnen erinnern an das eigene Alter, das man gerne vergessen würde. Die Ansichten, die vor nicht allzu langer Zeit noch die eigenen waren, klingen nun wie das ferne Echo einer untergegangenen Epoche. Plötzlich stören sie. Man geniert sich vor den alten Weggenossen neuer Gewohnheiten in Kleidung, Sprachstil und Gesprächsthemen wegen. Die Geburtstage mit den hohen runden Jahreszahlen werden knapp über E-Mail abgesagt.
In den eigenen Reihen wiederum gilt der Frischvermählte – oder Frischliierte – bald als Verräter, der eines kurzfristigen Vorteils wegen seine Truppe verlassen hat, die mühsam versucht, sich auf unsicherem Terrain zurechtzufinden. Während sie tapfer den Zumutungen des Alters und den oft bestürzenden Entdeckungen ins Auge blickt, die es mit sich bringt, entscheidet er sich für einen Weg, der auf den ersten Blick bequemer und weniger verlustreich erscheint. Später wird er umkehren und wieder Anschluss suchen wollen. Aber seine alten Weggefährten sind weitergezogen und werden ihm fremd geworden sein. Sie haben Erfahrungen gesammelt, Krisen bewältigt und sich der Attacken eines hinfälligen Körpers erwehrt. Sie haben gelernt, sich zurechtzufinden in einem Lebensabschnitt, der zu den anspruchsvollen und verwirrenden Herausforderungen jeder Biografie gehört. Sie wissen inzwischen, wo die kleinen Freuden des Alters verborgen sind. Die aufzuspüren zählt in der Zwischenzeit zu ihren wichtigsten Talenten. Wie stets im Lebenslauf gibt es feste Intervalle, in denen bestimmte Aufgaben bewältigt werden müssen. Wer sie verpasst, hat später kaum die Chance der Nacharbeit. Der Nachzügler hat seine Zeit vergeudet und die Jahre verstreichen lassen, die unentbehrlich sind, um mit dem Alter fertig zu werden.
Der drohende Verlust der Alterskohorte ist keine Nebensächlichkeit, sondern ein tief greifender Vorgang. Mit ihr verflüchtigt sich ein Teil unserer Geschichte. Denn trotz junger Gefährtin und aufregender neuer Erfahrungen bleibt man Produkt seiner Vergangenheit, die wiederum durch die alten Freunde und Bekannten verkörpert wird. Verlieren wir sie, so verlieren wir auch den Bezug zu unserer Biografie und den Zugang zu jener Intimität, die sich erst über lange Jahre aufbaut und im Alter besonders guten Dienst tut: Die Themen werden unschön, wenn der Körper die Beherrschung über sich selbst verliert. Das gibt hässlichen Gesprächsstoff, der schnell die Schamgrenze erreicht. Die Erfahrungen des Alterns und der Hinfälligkeit können nur jene miteinander teilen, die in derselben Situation sind.
Die trüben Gedanken und die gelegentliche Furcht vor der Vergänglichkeit sind den Jüngeren gottlob vorläufig fremd. Sie werden die Alten davon überzeugen wollen, dass ihre Befürchtungen nicht der Rede wert sind, so wie ich das einst bei meiner
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