Altern Wie Ein Gentleman
Mutter getan hatte, um die traurige Wahrheit zu verdrängen. Das tröstet nicht. Alte Menschen benötigen das Verständnis von Mitwissern. Die Jüngeren beklagen die ersten Falten, während den Alten die Knochen kalt und brüchig werden. Sie brauchen ihre Alterskohorte als Fachleute, Vertraute, Trostspender und für den ironischen Umgang mit den Gebrechen, durch den diese erträglicher werden. Denn alte Leute dürfen über sich lachen, junge dürfen das nicht.
In der Zwischenzeit war der verdiente Politiker außer Diensten mit seiner jungen Gefährtin im Fond einer stattlichen dunklen Limousine verschwunden. Meine Bekannte aus Tübinger Tagen schickte ihnen wütend eine Geste nach, die gewöhnlich auf Fußballplätzen beheimatet ist.
»Was treibst du denn da?« Unbemerkt war ein befreundeter Rechtsanwalt an unseren Tisch getreten und setzte sich zu uns. Wir erklärten ihm die Sachlage, die auch ihm nicht fremd war.
Nachdem wir einige Fälle aus dem Bekanntenkreis auf ihre Belastbarkeit hin überprüft hatten, schlug er plötzlich unvermittelt vor: »Lass uns doch überlegen, was alte Kerle in junger Ehe auf keinen Fall machen dürfen, so eine Art No-no-Liste.«
Wir überlegten einen Augenblick:
»Slips und Schlafanzüge aus Seide«, meldete sich meine Tübinger Bekannte als Erste zu Wort.
»Blendend weiße Jacketkronen«, ergänzte der Rechtsanwalt.
Ebenso wichtig sei eine To-do-Liste, warf ich ein und fügte hinzu: »Wöchentliche Haarwuchskontrolle in allen Körperöffnungen.«
»Keine Lebenserfahrungsratschläge.«
»Keine gemeinsamen Einladungen bei deinen alten Bekannten.«
»Erzähle nie von der guten alten Zeit.«
Die Ratschläge kamen in dichter Folge.
»Keine gefärbten Haare!« Meine Tübinger Bekannte war gnadenlos.
»Es sei denn, du rasierst dich sorgfältig«, korrigierte der Rechtsanwalt, der wusste, wovon die Rede war, und schloss: »Ihr seht, das Leben mit einer jungen Frau wird nicht einfacher.«
Unser letztes Gefecht
»Was wir nicht aktiv selber tun,
wird still in fremden Händen ruhn!«
BASISGRUPPE GERMANISTIK, TÜBINGEN 1969
Es gibt vermutlich keine Bevölkerungsgruppe, die untereinander so viele Gemeinsamkeiten hat wie die alter Menschen.
Mit Ausnahme des Todes bewirkt das Alter, allen politischen Bemühungen zum Trotz, den wirksamsten Ausgleich sozialer Unterschiede. Wir Alten teilen Zukunft, Leiden und Verlust und sind dadurch vom Rest der Gesellschaft wohl unterschieden. Das sind wesentliche Koordinaten unseres Lebens und darüber hinaus gute Voraussetzungen für die Entstehung einer politischen Bewegung.
In der Nachkriegszeit, nachdem die Demokratie hierzulande schließlich eingerichtet worden war, ist verschiedentlich versucht worden, eine Altenbewegung zu gründen, um den besonderen Interessen alter Menschen Gewicht zu verleihen. Einige Jahre lang bemühten sich zum Beispiel die Grauen Panther um Wählerstimmen. Ihre Bemühungen blieben vergeblich. Unsere Eltern und Großeltern ließen sich, ins Alter gekommen, nicht organisieren. Die Ursachen für ihre Passivität sind vielschichtig: Erschöpfung, die weise Einsicht, dass die Zukunft der Jugend gehört, ein spätes Bedürfnis nach Ungebundenheit, die Abneigung gegenüber allem, was das Alter thematisiert, und schließlich mangelndes Talent und Unvermögen, eine spontane, politische Bewegung ins Leben zu rufen und ihr Dauer zu verleihen. Dieser Verzicht bildete, nebenbei gesagt, einen wesentlichen Bestandteil des sozialen Friedens in unserem Land.
Meine Generation geht besser gerüstet voran. Wir gelten hierzulande als die Urheber des Protests und der spontanen politischen Aktionen. Recht besehen hatten wir deren Formen und manchen Inhalt aus den Vereinigen Staaten eingeführt. Nachdem wir jedoch den Import mit sozialistischen Ideen und dem Bedürfnis nach verbindlicher Organisation ergänzt hatten, erhielt die Bewegung ihren deutschen Charakter und kam zügig in Gang. Die neue Aufsässigkeit wirkte umgehend wie der Fuchs im Hühnerstall – was den Protest noch attraktiver machte, denn wer lärmt schon gern im Verborgenen? Zu unserem Vorteil war die deutsche Gesellschaft sozial, kulturell und politisch in argen Rückstand geraten. Wo man hinsah, lag eine dicke Schicht verstaubter Gesetze, Sitten und Vorschriften, die entsorgt sein wollten, jede Einzelne nicht sonderlich gewichtig, aber weit über das Land verstreut und in der Summe äußerst eindrucksvoll. Es gab viel zu tun, was bei denen, die sich gemütlich in der
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