Alterra: Der Herr des Nebels: Roman (German Edition)
mit uns tauschen wollen, denn unsere Rolle verlangt uns einiges ab. Wir opfern unsere innere Ruhe und den letzten Rest Unschuld, der uns noch geblieben ist. Unsere Aufgabe ist es, die Unschuld der anderen Pans zu bewahren, soweit und solange es möglich ist .«
Deshalb hatten sie beschlossen, den Angriff auf das Fort im Norden bis zur nächsten Ratsversammlung nach den Feierlichkeiten geheim zu halten. Matt hatte überlegt, ob er vielleicht statt gen Westen in den Norden ziehen sollte, um zu sehen, was es mit dieser neuen Bedrohung auf sich hatte. Aber Melchiot zog es vor, eine Gruppe Soldaten hinzuschicken, das war sicherer.
Zwei Jungen erkannten Matt, einen der »Helden« der Großen Schlacht, und grüßten ihn ehrerbietig. Matt erwiderte den Gruß, blieb aber nicht stehen. Er hatte überhaupt keine Lust auf Fragen über Malronce und den Torvaderon.
Schließlich wusste er nicht mehr darüber als die anderen. Sein Vater und seine Mutter waren miteinander verschmolzen, und das Ergebnis hatte nicht überlebt. Es war zu ungleich, zu unvollständig gewesen, redete Matt sich ein.
Er hatte ihren Tod herbeigeführt.
Bei diesem Gedanken verspürte er einen Stich in der Brust.
Er ballte die Fäuste.
Wenn er mit Ambre zusammen war, gelangte dieses Gefühl wenigstens nicht an die Oberfläche. Ihre Anwesenheit tat ihm gut und verscheuchte die Schuldgefühle und die Trauer.
Sie würde ihm fehlen.
Und seine Freunde auch: Chen alias der »Kleber«, Floyd, Melchiot und Tania. Dann dachte er an die Freunde, die er im Krieg verloren hatte. Luiz, Neil, Horace, Ben und Mia. Und an die Gesichter all derer, denen er nur flüchtig begegnet war und die ihr Leben gelassen hatten.
Ihm lief ein Schauer über den Rücken.
Wenn Tobias ihn begleitete, könnte er es fern von den Menschen, die ihm wichtig waren, aushalten. Zu zweit würden sie sich in schwierigen Augenblicken beistehen. Außerdem ging er aus eigenem Entschluss, niemand zwang ihn dazu, im Gegenteil. Er musste einfach nur herausfinden, was er eigentlich genau wollte.
Matt beschleunigte seine Schritte. Er verließ den Hauptbazar, der zwischen dem Salon der Erinnerung und der Krankenstation verlief, überquerte zwei Plätze und marschierte zu der Brücke, die die beiden Ufer des Flusses verband. Er wanderte durch die Obstplantagen, vorbei an Scheunen und Getreidesilos, immer auf demselben Weg. Nach den letzten zweihundert Metern, die durch ein Weizenfeld führten, gelangte er zum Brombeerwald. Dort war das neue Gebäude der Akademie für Alteration aufgebaut worden, größer und weiter weg vom Rest der Stadt, um künftig Unfälle möglichst zu vermeiden.
Wenige Minuten später stand er vor der Villa. Aus den Fenstern waren das Knistern von Flammen, das Geräusch zerbrechender Gegenstände und zuknallende Türen zu hören.
Es war ein seltsames Haus ganz aus Holz mit viereckigen und runden Türmchen, Schrägdächern und kleinen Scharten. Im Inneren unterrichtete Ambre die Kunst der Alteration. Sie half den Pans, ihre besonderen Fähigkeiten zu entdecken und weiterzuentwickeln.
Matt sah eine Steinbank am Waldrand und setzte sich.
Er wusste selbst nicht, was er hier machte. Er hatte einfach den Wunsch verspürt, bis hierher zu gehen und zu warten. In seinem tiefsten Innersten war ihm klar, dass er wegen Ambre hier war. Um sich vielleicht zu verabschieden. Um ihr zu sagen, dass er nach dem Fest aufbrechen und nach Westen ziehen würde.
Was erhoffte er sich? Dass sie mitkam?
Er verstand nicht, warum sie sich ohne eine Erklärung von ihm zurückgezogen hatte und sich ihm gegenüber so abweisend verhielt. Es war, als versuche sie mit allen Mitteln, ihn zu vertreiben.
Du hast es geschafft, Ambre, ich gehe.
Erneut wurde ihm schwer ums Herz. Er hätte gern verstanden, was er getan oder gesagt hatte, um die Zurückweisung zu verursachen.
Plötzlich fühlte er sich lächerlich. Was dachte er sich bloß? Dass alles wie durch einen Zauber wieder ins Lot käme? Dass sie ihm verzeihen und ihm sagen würde, was mit ihr los war?
Wahrscheinlich bleibt sie sowieso den ganzen Tag in der Akademie und kommt erst spät in der Nacht heraus .
Er hatte nicht nachgedacht.
Er war so dumm.
Matt seufzte und stand auf.
Am Abend würde er mit den anderen feiern, und morgen würde er seine Sachen packen.
Es war sinnlos, noch länger zu warten.
6. Ein seltsamer Beobachter
E ine Wolke aus schwarzen Pfeilen sauste nach einem Schnalzen der Bogensehnen durch die Luft und bohrte sich gut fünfzig
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