Alterra: Der Herr des Nebels: Roman (German Edition)
Melchiot. »Die Pans, die sich bei uns nicht mehr wohl fühlen, schließen sich den Zyniks an, und das funktioniert bislang ohne Probleme.«
»Ich dachte, wir dürften nicht mehr ›Zyniks‹ sagen, um sie nicht zu beleidigen?«, wandte eine Stimme aus der Zuhörerschaft ein. »Man muss sie ab jetzt die ›Großen‹ nennen!«
»In Eden«, fuhr Melchiot nach einem Seufzer fort, »ist das Säuglingsheim fertig eingerichtet, wir haben genug Freiwillige, und die ersten Babys werden bald eintreffen. Euch sind sicher unterschiedliche Reaktionen darauf zu Ohren gekommen. Es ist nicht leicht, wir haben keinerlei Erfahrung auf dem Gebiet, aber die Säuglinge werden in guten Händen sein.«
»Trotzdem ist das eigentlich nicht unsere Aufgabe!«, rief ein Pan empört aus einer der oberen Reihen.
»Im Moment ist es der einzige Weg, den Fortbestand der Menschheit zu sichern und die … ›Großen‹ wieder an die Liebe heranzuführen. Wir hoffen, dass sie ihre Kinder in naher Zukunft nicht mehr verstoßen werden.«
»Eine Gesellschaft, die ihre Kinder dazu zwingt, die folgenden Generationen aufzuziehen, ist eine kranke Gesellschaft ohne Zukunft!«
Melchiot hob die Stimme:
»Unsere ganze Welt ist krank! Nichts ist mehr sicher, und die Regeln von früher gelten nicht mehr. Wenn wir Kinder dazu imstande sind, das Gute zu bewahren, dann ist es unsere Aufgabe, die Zukunft der Menschheit zu sichern. Ich bin auch nicht froh darüber, aber wir haben keine Wahl. Der Sturm hat unsere Wahrnehmung von der Welt verändert, nur wenige von uns haben überlebt, und das Härteste steht uns noch bevor.«
»Wir wissen noch immer nicht, was ihn verursacht hat. Waren es die Exzesse der Menschen oder eine Laune der Natur?«, fragte ein anderer Pan.
»Darum geht es heute Abend nicht. Wir sind hier, um unsere aktuelle Lage zu besprechen«, entgegnete Melchiot entschieden und brachte damit sofort das Flüstern zum Schweigen, das sich im Saal erhoben hatte. »Die Großen bitten uns um Helfer, die den Müttern nach der Geburt zur Hand gehen, bis die Babys alt genug für die Reise nach Eden sind.«
»Wir sollen Helfer nach Babylon schicken?«, fragte eine Jugendliche erstaunt.
»Ja. Dort sammeln sie die Neugeborenen. Wir haben bereits mehrmals kleinere Gruppen ausgesandt. Diesmal ziehen die Freiwilligen des Säuglingsheims los. Sie brauchen eine Eskorte. Gebt die Nachricht weiter, wir schicken in den kommenden Tagen zwei Trupps. Insgesamt brauchen wir etwa dreißig Pans.«
Ein etwa sechzehnjähriger Pan mit Pferdeschwanz stand auf und ergriff das Wort:
»Warum nehmen wir dafür nicht die Garnison von Eden? Die Befestigungsanlagen um die Stadt sind stark genug, um uns zu schützen, und da wir uns nicht mehr im Krieg befinden, nützen uns so viele Soldaten ohnehin nichts mehr!«
»Die Welt dort draußen ist alles andere als sicher!«, widersprach Melchiot. »Wir werden immer wieder von Kreaturen angegriffen. Je kälter es wird, desto näher werden sich die Wölfe an die Stadt heranwagen. Wir dürfen nicht leichtsinnig werden.«
»Apropos Winter, findet ihr nicht, dass das Klima merkwürdig ist? Es ist Mitte Dezember und noch immer ziemlich warm!«
Floyd, der Weitwanderer, erhob sich und antwortete:
»Unsere Patrouillen berichten, dass der Kälteeinbruch im Norden schon vor gut einem Monat erfolgt ist. In der Gegend um Siloh und nördlich davon ist sogar schon Schnee gefallen.«
»Eden liegt eben günstig. Noch mag es verhältnismäßig mild sein, aber dieses Wetter wird sicher nicht den ganzen Winter anhalten«, fügte Melchiot hinzu. »Wie steht es mit unseren Vorräten?«
Ein Mädchen erhob sich.
»Die Kornspeicher sind voll. Die Mitglieder der zweiundzwanzig Expeditionen, die in den vergangenen drei Monaten zu den Ruinen der großen Städte aufgebrochen sind, haben genug Vorräte hergebracht, um den Winter zu überstehen. Allerdings werden wir in Zukunft größere Entfernungen zurücklegen müssen, die Supermärkte in der Nähe sind leer geräumt. Wenn wir im Frühjahr zu essen haben wollen, müssen wir jenseits der bekannten Gebiete nach Nahrungsmitteln suchen.«
Nun erhob sich Ambre.
»Unsere Felder sind zur Aussaat bereit, der Gemüsegarten auch, und die Bewässerungsanlage ist eingerichtet. Mit etwas Glück werden wir in ein paar Monaten dazu in der Lage sein, ganz Eden zu versorgen.«
»Die Jagdtrupps sind ebenfalls einsatzbereit«, ergänzte Tobias, der die Bogenschützen von Eden kommandierte. »Sie sind sehr erfolgreich, an
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