Alterra: Der Herr des Nebels: Roman (German Edition)
Grund, alles hinzuschmeißen«, fuhr Tobias fort, »wir brauchen dich hier. Du weißt genau, dass in Eden alle auf dich hören. Seit der Schlacht bist du eine Art … Weiser geworden!«
Matt musste wider Willen lachen. Es war ein kurzes, bitteres Lachen.
»Ich bin kein Weiser. Ganz sicher nicht. Das weißt du genau.«
»Immerhin verdanken wir es dir, dass alle Pans frei sind.«
»Nein, wir verdanken es Ambre und dem Herz der Erde. Ich habe nur meine Eltern vernichtet, sonst nichts.«
»Sag so was nicht. Du hast sie wieder vereint, das ist nicht dasselbe.«
»Es ist dasselbe.«
»Du weißt nicht, was wirklich passiert ist. Vielleicht haben sie wieder zu einer Art Gleichgewicht gefunden und sich harmonisch im Kosmos aufgelöst. Schließlich hatten beide nur ein Ziel im Leben: dich wiederfinden. Die Leere in ihrem Inneren hatte sie blind gemacht. Weil ihnen die Liebe fehlte – deine und die des anderen.«
»Meine Eltern waren dabei, sich scheiden zu lassen, als der Sturm uns erreicht hat, und sie stritten sich um das Sorgerecht für mich. Sie haben nur überlebt, um einander noch verbissener zu bekämpfen, das ist alles. Ich habe sie wieder vereint, und das hat sie getötet.«
Tobias drückte seinen Freund an sich, aber ihm fiel nichts ein, was er hätte erwidern können.
Er sah eine Träne lautlos über Matts Wange rinnen.
Für die Freiheit der Gemeinschaft zahlt der Einzelne manchmal einen hohen Preis , dachte Tobias.
Der Saal des Rats von Eden erinnerte an eine Zirkusmanege.
Nach den Vergrößerungsarbeiten verfügte er über eine Tribüne mit zahlreichen Bankreihen, die einen Dreiviertelkreis rund um eine hölzerne Bühnenfläche bildeten. Hohe rote Pfeiler stützten das Dach, und mehrere Öllampen tauchten den fensterlosen Raum in einen warmen Lichtschein und verbreiteten den Duft von Moschus unter den gut vierzig anwesenden Pans.
Ein hochgeschossener Junge mit langen braunen Haaren und groben Gesichtszügen stand mitten auf der Bühne. Es war Colin, der junge Mann, der bei den Pans nicht mehr zurechtgekommen war und daher das Lager gewechselt hatte. Er war ein wichtiger Kurier zwischen den beiden Völkern geworden, und wie bei allen Boten erkannte man seine Funktion an dem roten Umhang, der seine Schultern bedeckte.
Matt bemerkte, dass Colins Akne deutlich abgenommen hatte und dass er aufrechter stand als früher, seine neue Aufgabe tat ihm gut.
Manchmal genügt das Gefühl, in der Welt seinen Platz zu haben, um sich zu verändern , dachte er.
Ein etwa sechzehnjähriger Pan mit Kurzhaarfrisur, kantigem Gesicht und strengem Blick – bei seinen blauen Augen wurden alle Mädchen von Eden schwach – stand neben ihm. Melchiot. Er war der Sprecher des Rates und leitete die Sitzungen.
Melchiot hob die Hand, um die Anwesenden zum Schweigen aufzufordern.
Alle Pans wussten von seiner Feueralteration, die in der Schlacht gegen die Zyniks eine verheerende Waffe gewesen war. Und als bester Schüler von Ambre hatte er in ihrer Abwesenheit die Aufgabe übernommen, die Pans in Alterationstechniken zu unterrichten. Er war ebenso respektiert wie gefürchtet, da er im Krieg seine Unerbittlichkeit bewiesen hatte, und er gehörte zu den wenigen Pans, die keinerlei Reue zeigten, nachdem sie einen Menschen getötet hatten. Melchiot befehligte gemeinsam mit Matt auch die Armee der Pans.
Die Mitglieder des Rates setzten sich. Ruhe kehrte ein.
»Colin bringt uns eine Nachricht von unseren Botschafterinnen in der Festung im Pass der Wölfe«, begann Melchiot. »Die Neuigkeiten sind gut, alles läuft bestens.«
Ein zufriedenes Murmeln lief durch die Reihen.
Matt atmete auf. Er hatte das Schlimmste befürchtet. Dass sich ausgerechnet der Unschuldstrinker als Botschafter der Zyniks in der Festung aufhielt, bereitete ihm große Sorgen. Immer wenn eine neue Nachricht in Eden eintraf, malte er sich üble Katastrophenszenarios aus, in denen dieser Halunke die Hauptrolle spielte. Mehr als drei Monate waren seit seiner Ernennung vergangen, und Matt konnte es noch immer nicht glauben. Der Unschuldstrinker war der abscheulichste Mensch auf Erden, aber er verfügte über ein weitverzweigtes Netz von Anhängern und war ein gewiefter Politiker. König Balthazar hatte keine andere Wahl gehabt: Um des Friedens willen mussten gefährliche Bündnisse eingegangen und Kompromisse geschlossen werden, in denen alle Meinungen berücksichtigt wurden – auch die von Extremisten.
»Der Austausch verläuft reibungslos«, erklärte
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