Alterra. Im Reich der Königin
längst mit Plusch über alle Berge zu sein, wenn der Berater die Wahrheit herausfand.
»Und woher wusstest du von den Steckbriefen?«
Matt nutzte das Gespräch, um an Deck hin- und herzuspazieren und die Sicherheitsvorkehrungen in Augenschein zu nehmen.
»Eine Ihrer Patrouillen hat uns angegriffen, aber wir konnten den Überfall vereiteln und mit der Ausrüstung der Soldaten fliehen. In einem der Bündel habe ich den Steckbrief mit meinem Gesicht gefunden.«
»Und nur deswegen hast du dich zum Pass der Wölfe aufgemacht?«
»Was ist denn der Pass der Wölfe?«
»Der einzige Weg, von Norden nach Süden zu kommen, ohne das Grüne Gebirge überqueren zu müssen, eine dreißig Kilometer lange Schneise zwischen den Bäumen. Anders kannst du Babylon gar nicht erreicht haben, wobei es mich wirklich wundert, dass dich die Wachen nicht gesehen haben. Zumal unsere dortige Zitadelle beinahe fertig ist.«
»Ich bin durch den Blinden Wald gegangen.«
Der Berater wieherte los, aber als er begriff, dass Matt es ernst meinte, blieb ihm das Lachen im Hals stecken.
»Nein, diese Mauer aus Bäumen kann niemand überwinden.«
»Genau das habe ich aber getan. Sie sagen ja selbst, dass der Pass der Wölfe in Ihrer Hand ist. Wie hätte ich mich da hindurchschleichen können, ohne entdeckt zu werden?«
»Du bist wirklich mit allen Wassern gewaschen. Erzähl mir mehr über diesen Blinden Wald.«
Matt hatte genug gesehen. Überall Soldaten. Mindestens zwanzig an Deck, und unter Deck bestimmt noch einmal so viele. Eine Flucht wäre extrem schwierig.
Je länger er darüber nachdachte, desto mutloser wurde er. Gegen ein bis an die Zähne bewaffnetes Regiment wäre jeder Kampf aussichtslos.
So war es vielleicht sogar ein Glück, dass Ambre und Tobias zurückgeblieben waren.
Die Gemeinschaft der Drei hätte angesichts dieser Übermacht keine Chance gehabt.
»Ich habe schreckliche Kopfschmerzen«, erklärte er, »ich würde mich gern wieder ins Bett legen.«
Matt war zur Einsicht gekommen: Unter den gegebenen Umständen war eine Flucht unmöglich. Er musste warten, bis sie irgendwo anlegten oder ihr Ziel erreichten.
33. Die Hautjagd
I n der Abendsonne glitzerte die Haut der Meduse so hell, als schwebte ein riesiger ovaler Spiegel am Himmel.
Tobias löste die Sehne aus dem Bogen, um das Holz zu schonen, und ging die Habseligkeiten durch, die er in seinem Rucksack mit sich herumtrug. Mit diesem beruhigenden Ritual vergewisserte er sich jedes Mal, dass nichts Wichtiges fehlte und er für alle Eventualitäten gerüstet war.
Die Kajüte war klein, aber bequem. So abstoßend der Unschuldstrinker auch war, auf seinem Luftschiff fühlte man sich wie auf einem Luxusdampfer.
Da klopfte es.
»Ja?«
»Ich bin’s, Ambre.«
Tobias öffnete die Tür, und Ambre kam ins Zimmer, noch bevor er sie hereinbitten konnte.
»Ich möchte dich um einen Gefallen bitten«, sagte sie. »Wäre es okay für dich, wenn ich hier schlafe? Ich traue dem Unschuldstrinker nicht, wir sollten lieber vorsichtig sein.«
Da Ambre für gewöhnlich gern allein blieb, schrillten bei Tobias die Alarmglocken. Sie musste sich sehr bedroht fühlen, wenn sie von sich aus einen solchen Vorschlag machte.
»Kein Problem.«
»Würdest du mir helfen, meine Matratze herzutragen? Ich schlafe auf dem Boden.«
»Nimm ruhig meine Koje, das stört mich über …«
»Nein, ich bestehe darauf, ich schlafe auf der Matratze. Spiel bloß nicht den Gentleman, darüber sind wir doch längst hinaus.«
Sie schleppten Ambres Matratze in Tobias’ Kajüte und legten sie neben seine Koje. Als sie das Bettzeug darauf ausbreitete, beschloss Tobias, ihr seine Zweifel anzuvertrauen.
»Ich glaube, es wird ganz schön schwierig, Matt zu befreien.«
»Ich weiß.«
»Und was machen wir danach? Wir sind ins Reich der Zyniks gekommen, um mehr über sie zu erfahren, aber wir werden ja wohl nicht ewig bleiben, oder?«
»Ich schätze, wir werden auf die Carmichael-Insel zurückkehren, um den anderen zu berichten, was wir herausgefunden haben. Der Gedächtnisverlust der Zyniks, der Nabelring, die Königin …«
»Dann sollte am besten auch ein Weitwanderer dabei sein, der es den anderen Gemeinschaften und in Eden weitererzählen kann.«
Ambre nickte nachdenklich. Nach einer kurzen Pause erwiderte sie:
»In drei Monaten werde ich sechzehn. Das ist das Mindestalter für Weitwanderer. Danach gehe ich selbst nach Eden, um mich den Weitwanderern anzuschließen.«
»Du willst uns verlassen?«,
Weitere Kostenlose Bücher