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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Amtsgerichtsrat.

    Der junge Doktor Kimmknirsch töffte langsam und gedankenvoll durch das Dorf Unsadel.
    Ja, es hatte eine lange und manchmal recht erregte Auseinandersetzung mit Päule Schlieker gegeben. Der Mann hatte – wie viele Ehemänner – nicht einsehen wollen, daß seine Frau wirklich krank war, ernstlich krank war.
    »Das bißchen Krämpfe!« hatte Schlieker verächtlich gesagt. »Sie soll sich bloß zusammennehmen, ich nehme mich auch zusammen.« Das tat er, Kimmknirsch bestritt es nicht. Er läge viel besser im Bett, es ging ihm bei weitem noch nicht gut, dieser Husten war nicht unbedenklich.
    »Unsinn!« hatte Schlieker gelacht.
    »Aber Ihre Frau sollten Sie lieber für ein paar Wochen ineine Anstalt bringen, meinethalben auch in ein Krankenhaus. Sie hat ›Absenzen‹, sie ist oft nicht bei sich, man weiß nicht, was sie dann tun kann.«
    »Was soll sie schon tun? Einen Topf zerschmeißen oder zwei, das ist immer noch billiger als Ihr Krankenhaus. Ein paar Wochen Krankenhaus, Sie sagen so was leicht, es ist mein Geld, was das kostet, nicht Ihres, Herr Doktor.«
    »Es ist Ihre Frau, die krank ist, nicht meine«, hatte der junge Arzt noch völlig ruhig erwidert.
    Aber dann waren sie darüber doch in Streit geraten. Schlieker war immer wilder geworden, Widerspruch konnte er nun einmal nicht vertragen. Die Welt hatte sich nach seinem Kopf zu drehen, und wenn der Doktor behauptete, die Frau sei so krank, so sollte die Frau auf der Stelle aufstehen und arbeiten – das wäre doch gelacht!
    Nun, sie beruhigten sich auch wieder, die Frau kam nicht ins Krankenhaus, blieb aber im Bett – und dann stellte es sich heraus, daß Schlieker persönlich noch ein Anliegen an Herrn Doktor Kimmknirsch hatte.
    Er machte die linke Schulter frei, und der Doktor sah sich kopfschüttelnd die vier kleinen, aber tiefen Löcher an, die schon rot entzündet waren.
    »Wer wirft denn hier mit Gabeln?« fragte Kimmknirsch schließlich, und Schlieker ärgerte sich, daß der das doch erraten hatte.
    »Wer anders als die Giftkröte, die Marie?! Mich mit der Gabel geschmissen und weggelaufen. Das sind die rechten – Pastorentöchter!«
    »So!« hatte Doktor Kimmknirsch geantwortet, und damit war das Thema Rosemarie Thürke zwischen den beiden erledigt gewesen. Keiner schien sich nach einer Aussprache darüber zu sehnen.
    Aber nun fuhr Doktor Kimmknirsch durch den nassen, windigen, trüben Oktobertag langsam und gedankenvollheim und grübelte. Stimmte, was Schlieker sagte, oder stimmte es nicht? Und wenn es nicht stimmte, was stimmte nicht?
    Wie jeden Abend hatte auch gestern abend der junge Arzt mit Amtsgerichtsrat Schulz bei Stillfritzens am runden Tisch gesessen, und da hatte Schulz verärgert zuerst von dem plötzlich aufgetauchten Professor Kittguß berichtet, der sich als ein recht wohlhabender Mann erwiesen hatte, dann aber von der neuen Flucht des jungen Mädchens, das, entschieden völlig verwildert, auch nicht mehr den leisesten Zwang ertragen wollte …
    »Und wenn sie sich nicht innerhalb vierundzwanzig Stunden meldet, dann ist es mit jeder Milde, Schonung und Rücksichtnahme vorüber! Für solche gibt es dann schließlich etwas wie Zwangserziehung!«
    Kimmknirsch hatte weder auf diese düstere Drohung etwas geantwortet noch überhaupt viel gesagt. Rosemarie Thürke hatte auch ihn bitter enttäuscht, und so etwas wird nicht so leicht verziehen. Aber vielleicht hätte er doch ein bißchen Näheres erfragen sollen, denn wie Amtsgerichtsrat Schulz berichtete, war die Rosemarie nach Schliekers Angabe schon am Nachmittag entlaufen – aber wann hatte sie dann die Gabel geworfen? Vorher! Vorher, vor dem Weglaufen nämlich, und so eine häßliche Tat sollte Schlieker dem Amtsgerichtsrat nicht berichtet haben? Unwahrscheinlich, höchst unwahrscheinlich! Hatte sie aber erst am Abend nach dem richterlichen Besuch geworfen, so hatte Schlieker den Schulz belogen, so war sie noch während des Schulzschen Besuches im Hause gewesen – warum aber hatte sie sich dann nicht gemeldet?
    Etwas stimmte nicht, das konnte man sich ohne viel Mühe ausrechnen, und Kimmknirsch nahm sich vor, sobald er in Kriwitz war, mit dem Amtsgerichtsrat über die Sache zu reden.
    Vorher hatte er aber noch eine andere Besprechung zu erledigen, und für die war er grade an der richtigen Stelle, trotzdem er mitten auf dem Landweg zwischen Unsadel und Kriwitz hielt, wo nicht Hütte noch Haus, nicht Mann noch Weib zu sehen waren. Aber ein Hecktor war hier, und es

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